Süddeutsche Zeitung

Klimagipfel:"Wir schaufeln unsere eigenen Gräber"

Lesezeit: 3 min

Das Klima ist angespannt, in jeder Hinsicht. Der Gipfel von Glasgow, der Lösungen im Kampf gegen die Erderwärmung bringen soll, beginnt schon mit Enttäuschungen über das G-20-Treffen.

Von Michael Bauchmüller und Oliver Meiler, Berlin

Mit flammenden Appellen haben Staats- und Regierungschefs die Klimakonferenz in Glasgow eröffnet - doch die äußeren Umstände sind ungünstig. Ein Gipfel der 20 größten Industrie- und Schwellenländer endete am Wochenende mit nur vagen Beschlüssen zum Klimaschutz - sehr zur Enttäuschung nicht nur von Entwicklungsländern. Die Welt stehe beim Klimawandel vor einer Wahl: "Entweder wir stoppen ihn - oder er stoppt uns", warnte etwa António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, zur Eröffnung der Konferenz in Glasgow. Zu glauben, dass die Staaten schon auf dem richtigen Weg seien, sei "eine Illusion". "Wir schaufeln unsere eigenen Gräber." Selbst für Guterres, der mit klaren Worten nicht geizt, ist das starker Stoff.

Rund 130 Staats- und Regierungschefs sind an diesem Montag angereist, um ihre Botschaften loszuwerden. Und sie sind eindringlich. "Unmoralisch und ungerecht" verhielten sich die Industriestaaten, sagt Mia Mottley, die Ministerpräsidentin des Inselstaates Barbados. "Welche Entschuldigung sollen wir für das Versagen geben?" Selbst eine Erderwärmung von zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Zeiten bedeute für viele Inselstaaten "ein Todesurteil".

Zwei Wochen lang werden Diplomaten und Minister aus 192 Staaten in Glasgow verhandeln, vordergründig geht es um letzte offene Fragen des Klimaabkommens von Paris. Etwa die Frage, wie sich die verschiedenen Anstrengungen der Länder vergleichbar machen lassen, oder für welche Zeiträume Staaten jeweils melden müssen, was sie im Klimaschutz unternehmen. Offen ist auch, wie die Staaten künftig verrechnen wollen, wenn sie Klimaschutz nicht daheim betreiben, sondern im Ausland - ohne damit neue Schlupflöcher zu schaffen. Schon zweimal hatten die Staaten dieses Thema vertagt.

Doch vor allem geht es am Montag darum, nach zwei Jahren Stillstand in der internationalen Klimadiplomatie wieder einen neuen gemeinsamen Anfang zu finden. Die 26. Vertragsstaatenkonferenz, kurz COP26, war im vergangenen Jahr der Pandemie wegen verschoben worden. "Wir haben die Technologien, wir können und müssen sie finanzieren", sagt der britische Premier Boris Johnson. "Die Frage heute ist: Haben wir den Willen?"

Zumindest für die Vereinigten Staaten bekräftigt das US-Präsident Joe Biden. Glasgow, sagt er, müsse der Startschuss für "ein Jahrzehnt der Anstrengung sein". Erstmals seit vier Jahren sind die USA wieder aktiv bei einem Klimagipfel dabei, Bidens Vorgänger Donald Trump hatte dem Abkommen von Paris den Rücken gekehrt. "Wir werden zeigen, dass wir nicht nur zurück am Tisch sind, sondern hoffentlich auch Beispiel geben für andere", sagt Biden.

Auch die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nach Glasgow gereist, auch sie beschwört das Paris-Abkommen. "Die Wahrheit ist natürlich sehr konkret", sagt sie. "Es geht um die Transformation unseres Wirtschaftens und Arbeitens." Und bei ihrer letzten Klimakonferenz, die sie als Regierungsmitglied besucht, empfiehlt sie für die "Dekade des Handelns" einen möglichst internationalen Preis auf Kohlendioxid. Technisch sei das "der beste Weg".

Doch einige fehlen an diesem Montag. Chinas Staatspräsident Xi Jinping ist nicht angereist, ebenso wenig Russlands Präsident Wladimir Putin und Jair Bolsonaro aus Brasilien. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte kurzfristig die Reise nach Schottland abgesagt - angeblich, weil türkischen Sicherheitsanforderungen nicht entsprochen wurde.

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg äußert sich pessimistisch zu COP26. "Wandel kommt nicht von da drinnen", sagt sie außerhalb des Konferenzgeländes am Montag vor Demonstranten. Die teilnehmenden Politiker würden nur so tun, als läge ihnen etwas an der Zukunft junger Menschen oder dem Schicksal der bereits vom Klimawandel Betroffenen.

Erstmals nennt Indiens Premier Narendra Modi ein Ziel für die Klimaneutralität seines Landes : Bis 2070 wolle Indien netto null Emissionen erreichen, sagt Modi in Glasgow. Klimaneutralität bedeutet, dass nur noch so viel klimaschädliche Treibhausgase ausgestoßen werden, wie etwa in Senken wie Ozeanen und Wäldern aufgenommen und künstlich gelagert werden können. Viele Länder streben, wie die EU, Klimaneutralität bis 2050 an, China hat 2060 ins Auge gefasst.

Zuvor war der der G-20-Gipfel in Rom mit einer Schlusserklärung zu Ende gegangen, die in vielen Punkten vage blieb. So einigten sich die größten Wirtschaftsmächte der Welt, die zusammen knapp 80 Prozent des CO₂-Ausstoßes verantworten, dass sie vom Ende des Jahres an keine Kohlewerke im Ausland mehr finanzieren wollen. Doch statt ein klares Zieldatum für den Abschied von fossiler Energie zu definieren, begnügte man sich mit der Formel "bis oder rund um die Mitte des Jahrhunderts": Bis dahin wollen die G20 bei netto null Emissionen angelangt sein.

Doch selbst unter den Teilnehmern waren die Schlussfolgerungen unterschiedlich. Italiens Premier Mario Draghi, turnusmäßiger Vorsitzender des Industrie- und Schwellenländerklubs, beschrieb den Gipfel als Erfolg. "COP26 wird nun auf einem soliden Boden starten", sagte er. Schließlich hätten die wichtigsten Wirtschaftsmächte sich erstmals offiziell für die 1,5-Grad-Obergrenze ausgesprochen. Johnson dagegen nannte die Bekenntnisse der 20 einen "Tropfen in einem schnell wärmer werdenden Ozean". Es liege ein "gigantischer Weg" vor dem Klimagipfel in Glasgow.

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