Klima-Proteste in NRW:"Unser Ziel ist Garzweiler"

Braunkohle Tagebau Garzweiler

Hunderte Klima-Aktivisten sind auf das Gelände des Tagebaus Garzweiler vorgedrungen.

(Foto: dpa)
  • Hunderte Klima-Aktivisten haben am Samstag eine Polizeikette durchbrochen und sind in den Tagebau Garzweiler eingedrungen.
  • Acht Polizisten werden verletzt.
  • Später kommt es zu einer versuchten Gefangenenbefreiung von Ingewahrsam genommenen Personen durch die Demonstranten
  • Am Sonntagmorgen befinden sich noch etwa 250 Demonstranten im Tagebau.

Von Nadja Schlüter, Erkelenz, Benedikt Müller, Düsseldorf, und Christina Kunkel

"Ein Wasserwerfer, wenn Kinder dabei sind, muss das sein?", fragt eine Demonstrantin. Kurz zuvor hatte die Polizei eine Weggabelung abgesperrt, an der ein Protestzug von "Fridays for Future" und den Klima-Aktivisten des Bündnisses "Ende Gelände" am Samstag im rheinischen Braunkohlerevier vorbeigezogen war.

Der Protest ist bunt und friedlich, doch das Ziel der Aktivisten von "Ende Gelände" ist von Anfang an klar - sie bereiten sich darauf vor, den Tagebau zu stürmen: "Es wird eine Stelle geben", sagt Kathrin Henneberger, Pressesprecherin der Gruppe, "an der wir uns von der Demo vorne abspalten. Unser Ziel ist Garzweiler."

Und so kommt es wenig später auch. Als der asphaltierte Weg direkt an der Tagebaukante entlang führt, nutzen erste Demonstranten die Gelegenheit, auf das Werksgelände des Tagebaus einzudringen. Ein Ordner läuft an der Kante entlang. "Die Leute von Fridays for Future, schließt euch wieder dem Demozug an, wir gehen weiter", ruft er. Er wirkt gestresst. Nach der Situation gefragt, sagt er: "Die müssen hier jetzt weg, die sind nicht dafür ausgebildet, runter in den Tagebau zu gehen."

Das war von Anfang an die Ansage von "Ende Gelände": Niemand sollte sich ohne Vorbereitung ihren Aktionen anschließen. Das Eindringen in den Tagebau kann mitunter lebensgefährlich sein, der Hang ist hier extrem steil und rutschig. Zudem hatte es bei Aktionen von "Ende Gelände" in der Vergangenheit immer wieder Konflikte mit der Polizei gegeben, die teils auch Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzte, wenn die Aktivisten versuchten, die Absperrung zu durchbrechen.

Die Demonstranten folgen der Anweisung des Ordners, während eine Gruppe junger Frauen, die ihre weißen Maleranzüge nur bis zu den Hüften hochgezogen haben, an der Abbruchkante stehenbleibt. Von links nähert sich die Polizei. Die Frauen setzen sich auf den Hosenboden und verschwinden nach unten.

Kurze Zeit später sind es Hunderte, die aus dem Demozug heraus die Polizeikette durchbrochen haben und sich in Richtung der Kohlebagger bewegen. Während die "Fridays for Future"-Demo gegen 14 Uhr weiter zu ihrer angemeldeten Abschlusskundgebung in Keyenberg zieht, beobachten am offiziellen Aussichtspunkt des Tagebaus Garzweiler Interessierte in der prallen Nachmittagssonne, was unten passiert: Eine große, mittlerweile wieder gut formierte Gruppe von "Ende Gelände"-Aktivisten bewegt sich langsam auf einen der riesigen Kohlebagger zu, die Polizei begleitet sie, über allem schwebt ein Hubschrauber. "Ich hab einen Arbeitsplatz vernichtet", singt ein junger Mann mit Kamera, der an den Schaulustigen vorbeiläuft. "Und darauf bist du stolz?", fragt ein Mann. "Sei froh, dass es nicht dein eigener Arbeitsplatz ist!"

Christian Forkel von RWE, zuständig für die Wasserwirtschaft, gibt sich gelassen. Proteste, sagt er, seien ein demokratisches Recht, und solange das alles friedlich bleibe, habe er nichts dagegen. "Aber dass Leute in den Tagebau eingedrungen sind, finden wir natürlich nicht gut. Soweit ich weiß, wurden sie jetzt an einer Stelle festgesetzt, an der niemand zu Schaden kommen kann." Er sei heute mit Demonstranten ins Gespräch gekommen, die Demo sei friedlich gewesen, die Gespräche gut - nur ein paar hätten ihren Hass loswerden wollen, das sei ja immer so. RWE halte sich an die Verminderungsziele, sagt er noch. "Wäre schön, wenn die anderen Sektoren das auch mal machen würden, und es nicht immer nur gegen die Energiewirtschaft geht."

Währenddessen twittert "Ende Gelände" aus dem Tagebau, dass Pfefferspray gegen sie eingesetzt wurde, aber auch: "Alle Bagger, die wir sehen können, stehen still!" Tatsächlich hatte RWE nach Angaben eines Sprechers zunächst vier von sechs Produktionseinheiten inklusive Baggern aus Sicherheitsgründen gestoppt. "Das ist ein Eingriff in die öffentliche Versorgung", sagte eine RWE-Sprecher der dpa. "Aber es ist nicht so, dass wir Kraftwerke gleich abstellen müssen."

Die Behörden melden am Nachmittag erste Verletzte, ohne Zahlen zu nennen. Später hieß es einer am Samstagabend veröffentlichten Zwischenbilanz zufolge, dass acht Polizistinnen und Polizisten verletzt worden sind. Vermutlich sind sie gestürzt, als sie von den Demonstranten praktisch überrannt wurden. Der NRW-Chef der GdP, Michael Mertens, sprach von einem "unglaublichen Leichtsinn" der Aktivisten. Die Abbaukanten im Tagebau seien auch deshalb so gefährlich, weil man oben oft gar nicht sehe, wenn darunter gar kein Grund mehr sei. "Da können Sie 40 Meter tief stürzen." Er prophezeite einen "langen Tag" für die Polizei, da das Eindringen in den Tagebau wohl keine Einzelaktion bleiben würden. Mertens lobte gleichzeitig die friedliche Demo der "Fridays For Future"-Teilnehmer.

Am Sonntagmorgen teilte die Polizei auf dpa-Anfrage mit, die Räumung des Tagebaus in Garzweiler stünde dauere an. Auf dem Betriebsgelände des Energieversorgers RWE befänden sich noch rund 250 Demonstranten unter Kontrolle der Einsatzkräfte. Diese werden den Angaben zufolge nach und nach abtransportiert.

Zudem wird laut Polizei weiter die Bahnstrecke zwischen den Braunkohlekraftwerken Neurath und Niederaußem von etwa 800 Demonstranten blockiert. RWE habe deshalb bereits am Samstag den Zugverkehr auf der sogenannten Nord-Süd-Bahn eingestellt, sagte ein Konzernsprecher. Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Grevenbroich laufe dennoch weiter, weil RWE einen Kohlevorrat angelegt habe. Der Meiler von 1972 ist einer der größten einzelnen CO2-Emittenten Europas.

Bereits am Samstag waren mehrere Demonstranten in Gewahrsam genommen worden, genaue Zahlen sind noch nicht bekannt. Kritik der Aktivisten, dass die festgesetzten Menschen über Stunden nicht mit Getränken und Essen versorgt wurden, wies die Polizei auf Anfrage zurück.

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