Nach den Verhandlungen ist vor den Verhandlungen: In Glasgow haben sich die Staaten der Welt am Samstagabend im Ringen um klare Regeln für den Klimaschutz auf einen Kompromiss verständigt. In Berlin gehen die Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP in der kommenden Woche in die nächste Runde. Was bedeutet der Ausgang der COP26 in Schottland für den Klimaschutz in in Deutschland? Führende Vertreter der drei Ampel-Parteien sind sich zumindest in der Aufgabenstellung einig: Es zählt nur, was wirklich passiert.
Matthias Miersch hat für die SPD die bisherigen Koalitionsverhandlungen in der Arbeitsgruppe Klima, Energie und Transformation geleitet. Er sagt: "Glasgow ist ein wichtiges Signal, aber die eigentliche Arbeit beginnt erst." Aus abstrakten Absichtserklärungen müsse jetzt "konkretes Handeln" werden, so der SPD-Fraktionsvize. Ähnlich bewertet FDP-Chef Christian Lindner die Ergebnisse des UN-Klimagipfels: "Glasgow ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung, aber nicht das Ziel", sagte Lindner der Süddeutschen Zeitung.
Schon am Samstagabend hatte sich die Grünen-Vorsitzende und einstige Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock zu Wort gemeldet. "Die Staatengemeinschaft hat die Bedrohung der Klimakrise erkannt, aber noch lange nicht gebannt", schrieb sie auf Twitter. Nun brauche es "eine neue Dynamik des Machens". Mit Blick auf Deutschland griff Baerbock vor allem den in Glasgow vereinbarten Kohleausstieg auf. Sie nehme das als Auftrag für die künftige Bundesregierung, "selber früher aus fossiler Energie auszusteigen und die Technologie für saubere Industrie auf den Weg zu bringen".
Die Grünen stehen beim Klimaschutz unter Druck. Die Ergebnisse der Sondierungen gelten als zu wenig konkret. Baerbocks Kollege im Parteivorsitz, Robert Habeck, hatte schon am Freitag gewarnt: Wenn sich die Parteien nicht auf Maßnahmen zur Einhaltung des in den Sondierungsgesprächen vereinbarten 1,5 Grad-Ziels einigen könnten, "dann sind wir in den Koalitionsverhandlungen gescheitert". Folgerichtig legte sich auch Baerbock fest: Auf die Frage, ob der bislang für 2038 geplante Kohleausstieg mit den Grünen in der Bundesregierung deutlich eher komme, antwortete sie im ZDF-heute journal: Ja.
Christian Lindner zeigte sich am Sonntag optimistisch. Vor allem aber wollte er auch dem Eindruck entgegegenwirken, nur die Grünen seien an mehr Klimaschutz interessiert. Die Ergebnisse in Glasgow bestätigten "die sehr ambitionierten Bemühungen, auf die wir uns in den Ampel-Gesprächen bereits im Sondierungspapier verständigt hatten", so der FDP-Chef. Diese würden jetzt konkretisiert. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass es ein hochwirksames Paket zum Klimaschutz geben wird, das zugleich die soziale Sensibilität achtet und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft langfristig stärkt", sagte Lindner. "Das ist übrigens nicht allein ein Anliegen der Grünen, denn in diesem Ziel stimmen alle Beteiligten überein."
Matthias Miersch sitzt seit 2005 im Bundestag. Er hat die Klimaschutzbemühungen von Kanzlerin Angela Merkel in drei großen Koalitionen aus nächster Nähe begleitet - und auch die Rückschläge erlebt. Sein Fazit fällt trotzdem nicht so schlecht aus: Mit dem bereits bestehenden Klimaschutzgesetz sei Deutschland weiter als andere Staaten, sagte er der SZ. Allerdings sehe man auch, wie schwer es zum Beispiel sei, Windkraftanlagen zu errichten. "Der gesellschaftliche Konflikt zwischen denen, die immer neue ehrgeizige Ziele fordern und denen, die die Energiewende blockieren, muss endlich produktiv aufgelöst werden", so Miersch.
Die Aufgaben der Ampel-Parteien für die kommenden Wochen skizziert Miersch so: Deutschland müsse im Planungsrecht, in der Infrastruktur und im klaren Bekenntnis zu den Erneuerbaren als der einzigen wirklich nachhaltigen Energieform beweisen, dass die Lösung dieser gesellschaftlichen Gegensätze möglich sei. "Das ist die Aufgabe einer Fortschrittskoalition", sagte Miersch mit Blick auf SPD, Grüne und FDP, "und ich habe nach schwierigen Verhandlungen den Eindruck, dass das gelingen kann."