Umwelt und Armut:"Die Grünen gefielen sich in der Attitüde, modern zu sein"

Armut, Hartz IV

"Die Rede von ökologisch motiviertem Verzicht klingt zynisch, wenn man ohnehin schon wenig Spielraum hat": Bedürftige bei einer Tafel in Berlin.

(Foto: Stefan Schaubitzer/dpa)

Arm sein und das Klima schützen - das ist gar nicht einfach. Caritas-Vorständin Eva Welskop-Deffaa warnt die Öko-Bewegung, davor die Augen zu verschließen. Sie plädiert für ein neues Denken.

Interview von Michael Bauchmüller und Stefan Braun, Berlin

Ihr Gesicht ist nicht sehr bekannt; ihre Arbeit aber ist es umso mehr. Eva Welskop-Deffaa, 60, hat für das Zentralkomitee der Katholiken gearbeitet, war Vorstandsmitglied bei Verdi, gehörte dem Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit an und leitete sechs Jahre lang die Abteilung "Gleichstellung" im Bundesfamilienministerium. Seit Juli 2017 arbeitet die Volkswirtin und Mutter dreier erwachsener Kinder für die Caritas. Dort kümmert sie sich um Digitalisierung, die großen sozialen Fragen und die Umweltpolitik - auch die des Verbandes.

SZ: Sind Sie ein Öko, Frau Welskop-Deffaa?

Welskop-Deffaa: Meine Kinder würden das bestreiten. Sie machen wirklich jede Strecke mit dem Fahrrad. Keines meiner Kinder hat ein Auto. Und wir als Familie haben auch keines mehr. Das letzte ist uns 2012 in Berlin geklaut worden; das war für uns das Zeichen. Beim Verkehr bemühen wir uns also sehr. Trotzdem macht man seine Kompromisse.

Die da wären?

Zum Beispiel, dass ich dieses Jahr zum 60sten eine Urlaubsreise mit meiner Familie plane, und zwar nach Sizilien. Da fliegen wir dann doch alle hin. Dabei hätte man den Urlaub auch im Schwarzwald verbringen können. Da wäre unser ökologischer Fußabdruck deutlich kleiner gewesen.

Sie reisen also mit einem schlechten Gewissen?

Nein. Da haben wir Katholiken ja einen Vorteil. Auch wenn wir das nicht mehr so leibhaftig mit Leben füllen, haben wir die Tradition der Beichte. Das ermöglicht manches ohne nagende Gewissensbisse, weil man hinterher Buße tun kann.

Sie haben einen guten Job bei der Caritas, Sie waren davor Beamtin im Bundesfamilienministerium. Macht die sichere soziale Situation Ihnen ein Bio- und Öko-Leben leichter?

Keine Frage: Ja. Mit einem sicheren und guten Einkommen ist man privilegiert und kann viel leichter ökologisch bewusst leben. Das fängt beim Reisen an. Mein Arbeitgeber zahlt mir die Fahrt mit dem Schlafwagen, wenn ich über Nacht von einem Dienstort zum anderen fahre. Andere Leute, die weniger gute Positionen und genauso anstrengende Jobs haben, können ihre beruflichen Verpflichtungen und ihre privaten Ambitionen nur dann unter einen Hut bringen, wenn sie sich nachts mit dem Auto auf die Autobahn werfen.

Ist ein ökologisches Leben das Projekt für Besserverdiener?

Nein. Obwohl ich sehe, dass es da eine Schieflage gibt. Aber daran müssen wir arbeiten. Und wenn ich sage wir, dann meine ich schon ganz konkret die Caritas. Wir haben an vielen Stellen Projekte entwickelt, um denen, die nicht auf dem Sonnendeck unterwegs sind, Chancen und Jobs zu geben, bei denen sie zugleich etwas für den Umweltschutz tun. Für die Bewahrung der Schöpfung.

Zum Beispiel?

Nehmen Sie unseren Stromspar-Check. Da bilden wir Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt schon lange keine Chance mehr hatten, zu Beratern aus, die ihrerseits Menschen in prekären Einkommenssituationen dabei unterstützen, in ihrem Haushalt ganz konkret Energie zu sparen.

Ist das nicht ein Tropfen auf den heißen Stein?

Das mag für Sie so klingen, weil es nicht gleich Millionen Menschen erreicht. Aber aus unserer Sicht stimmt das überhaupt nicht. Wir wissen längst, dass so eine Art der Beratung besonders wirkungsvoll und nachhaltig ist. Weil es immer überzeugender ist, wenn Menschen etwas erklären, die die Lebenswirklichkeit der anderen genau kennen, weil sie selbst wissen, wie sich das anfühlt, wenn man jeden Euro dreimal umdrehen muss, bevor man ihn ausgeben kann. Guck doch mal auf deinen Kühlschrank, guck doch mal auf deinen Fernseher, ob die nicht Stromfresser sind - das klingt beim Stromspar-Check nicht nach Besserwisserei, sondern nach heißem Tipp.

Trotzdem ist es ein Nischenprojekt.

Viele Nischen ergeben am Ende ein Ökosystem. Wir betreiben zum Beispiel an mehreren Bahnhöfen Radstationen, bei denen ehemals Langzeitarbeitslose die Fahrräder nicht nur annehmen und bewachen, sondern auch Reparaturen anbieten und zum Teil Verleih-Stationen daraus machen. Das macht deutlich, dass wider Erwarten beides geht: Man kann eine soziale Politik betreiben, die Ausgegrenzten hilft und Armut überwindet - und zugleich einen Beitrag für den Klima- und Umweltschutz leistet.

Eva Maria Welskop-Deffaa

"Viele Reiche führen ein Leben, das sich mit den ökologischen Grenzen nicht vereinbaren lässt": Eva Maria Welskop-Deffaa.

(Foto: Günther Reger)

Sind das gerade für ärmere Menschen nicht Ziele, die sich widersprechen?

Auf den ersten Blick schon, ja. Gerade deshalb bemühen wir uns, beide Ziele gemeinsam zu denken und zu verfolgen. Nur so können wir den Verdacht widerlegen, bei der Ökologie handele es sich um ein Elitenprojekt, das sich die Ärmeren gar nicht leisten könnten.

Genau so empfinden das aber derzeit viele Menschen.

Ja, und ein Teil der ökologischen Bewegung hat dazu beigetragen, bei Menschen, denen es nicht gut geht, Widerstände zu wecken. Die Rede von ökologisch motiviertem Verzicht klingt zynisch, wenn man ohnehin schon wenig Spielraum hat. Leider erkennen nur wenige, dass eine soziale Umverteilungspolitik, die bewusst die gesellschaftliche Mitte stärkt, zugleich helfen würde, ökologische Ziele zu erreichen.

Wie das?

Viele Reiche führen ein Leben, das sich mit den ökologischen Grenzen nicht vereinbaren lässt. Der Verbrauch von Strom, Benzin, Heizung steigt exponentiell, wenn Menschen reicher und reicher werden. Sie kaufen zwar Autos, die tatsächlich oder vermeintlich effizienter sind, aber die Autos werden immer größer. Und viele Ärmere können sich einen nachhaltigeren Lebensstil, zum Beispiel mit energieeffizienten Geräten, nicht leisten. Darüber aber will in der politischen Auseinandersetzung niemand wirklich reden.

Warum nicht?

Weil manche dann lieb gewonnene Gewissheiten aufgeben müssten. Wer anerkennt, dass eine sozialere Politik, die einer ökonomischen Ungleichheit entgegenwirkt, zugleich eine nachhaltigere ökologische Politik ist, muss neu über Einkommens- und Vermögensverteilung, über höhere Steuern für Reiche und mehr Entlastungen oder Hilfen für Ärmere nachdenken. Das aber ist in den letzten Jahren leider von niemandem in die Umweltschutzdebatte eingebracht worden.

Haben Sie Hoffnung, dass die Schüler und Studenten mit Ihren Freitagsprotesten hier etwas Neues anstoßen?

Keine Frage, diese Auftritte rühren an. Da ist etwas Großartiges, bringt neuen Drive in die Debatte. Aber zugleich irritiert mich etwas. Wieder diskutieren wir das Thema Ökologie als Generationenthema, nach dem Motto: Wie könnt ihr Alten nur die Zukunft der Jungen zerstören?

Was ist daran falsch?

Damit geht es wieder nur um die Verantwortung der heutigen für die künftige Generation. Es gibt aber bei der ökologischen Transformation auch eine Verantwortung der heutigen für die heutige Generation - untereinander, in verschiedenen Teilen der Welt. Auch da braucht es Antworten. Nur wenn wir das soziale Thema mit dem ökologischen verbinden, handeln wir angemessen und angemessen schnell. Denn die Chance, natürliche Ressourcen zu schonen, findet allzu oft ihre Grenze in den ökonomischen Möglichkeiten der heute Reichen, seien es reiche Menschen oder die reichen Länder des Nordens, zu konsumieren.

Die alten Institutionen müssen für den Wandel gewonnen werden

Wie kommen wir dahin? Müssen wir die Steuern für die Reichen erhöhen? Oder müssen wir den Konsum von fossilen Rohstoffen massiv verteuern?

Ich habe Sympathien für ökonomische Anreize. Auch für eine Erbschaftsteuerreform. Reich zu erben gehört zu den wichtigsten Treibern einer wachsenden Vermögensungleichheit. Interessant wäre es aber vor allem in der Breite wieder die Tarifbindung durchzusetzen. Mit dem Ziel, dass auch für Jobs, die nicht so großartig sind, anständige Löhne gezahlt werden. Die Tarifbindung geht in Deutschland seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Und wir sehen, dass in nicht tarifgebundenen Betrieben gerade für die unteren Einkommensgruppen die Bezahlung signifikant schlechter ist als in tarifgebundenen Unternehmen. Anders ausgedrückt: Ich würde immer versuchen, so früh wie möglich anzusetzen, nicht nachgelagert bei den Einkommensteuersätzen.

Aber ist es nicht so, dass die Politik bei den Steuern konkreter und schneller was tun könnte?

Ich habe nichts dagegen. Aber ich warne vor Illusionen: Die Gutbetuchten haben noch immer Wege gefunden, Steuern zu vermeiden oder zu umgehen. Da sollte man sich nichts vormachen.

Bleiben am Ende nur Ge- und Verbote?

Wir haben als katholische Kirche jahrhundertelang mit Ge- und Verboten gearbeitet, und das hatte einen großen Vorteil: Es traf alle gleich, ob arm oder reich. Zum Beispiel wenn es hieß: Am Freitag wird kein Fleisch gegessen. Heute aber, in unserer individualisierten Welt, in der jeder etwas Besonderes sein will oder muss, läuft man mit Ge- und Verboten Gefahr, das Gegenteil von dem zu bewirken, das bezweckt werden soll. Ich bin sogar der Meinung, die letzten derartigen Versuche haben stets einen Rollback ausgelöst. Ob nun das Tempolimit auf Autobahnen oder der Veggie Day mit dem Vorschlag, an einem Tag in der Woche aufs Fleisch zu verzichten - jedes Mal löste die Forderung derart viel Widerstand aus, dass es in der Sache nichts brachte, aber viele gegen den Umweltschutz aufbrachte. Nach dem Motto: Wenn das Umweltschutz ist, dann lehne ich den ab.

Würden Sie das den Grünen anlasten? Als Fehler?

Das Verrückte ist, dass jeder einzelne dieser Vorschläge für sich gesehen logisch war und wissenschaftlich belegt. Trotzdem löste er das Gegenteil dessen aus, was die Grünen erreichen wollten.

Agiert die Partei also ungeschickt?

Die Grünen haben zu lange geglaubt, dass es ausreicht, sich als moderne Bewegung zu fühlen und sich entsprechend mit anderen neuen modernen Bewegungen zu verbünden. Sie gefielen sich in der Attitüde, modern zu sein - und haben deshalb die Zusammenarbeit mit den klassischen Institutionen wie Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden oder Kirchen vernachlässigt.

Sind Gewerkschaften Agenten des Wandels?

Ja. Davon bin ich überzeugt. Natürlich klingt Gewerkschaft erst mal nicht so sexy wie neue soziale Bewegung; natürlich wirken wir alten Institutionen oft träge in der ersten Reaktion. Aber ich halte Gewerkschaften gerade bei großen und nachhaltigen Veränderungen für unverzichtbar. Die alten Institutionen müssen für den Wandel gewonnen werden, dann sind sie beharrliche Unterstützer. Orte der Weltverbesserung, auch heute noch. Darauf baue ich.

Bei der Debatte zum Kohleausstieg hätte man einen anderen Eindruck gewinnen können.

Absolut, das verstehe ich. Nach außen sieht das oft erst mal wie Bremse und Blockade aus. Aber die deutschen Gewerkschaften sind mit den Gewerkschaften in Frankreich oder England nicht gleichzusetzen. Sie haben es am Ende doch immer ganz überwiegend verstanden, dass es sich lohnt, Wandel aktiv mit zu gestalten. Sie sind definitiv nicht die, die immer das schnellste Tempo vorgeben. Aber sie haben die Fähigkeit, ein menschengerechtes Tempo zu finden. Wenn man den Wandel nachhaltig gestalten will, ist das Tempo nicht das Einzige, was wichtig ist. Die Dauerhaftigkeit des Wandels ist das, worauf es wirklich ankommt. Zwei Schritte vor, drei zurück - das kann ja nicht der Weg sein, wie wir die ökologische Transformation zum Erfolg führen.

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