Treffen im Kanzleramt:Klimaaktivistinnen fordern Merkel auf, Verantwortung zu übernehmen

Klimaaktivistinnen auf dem Weg ins Kanzleramt

Die Klima-Aktivistinnen Luisa Neubauer, Greta Thunberg, Anuna de Wever und Adelaide Charlier nach ihrem Besuch im Bundeskanzleramt.

(Foto: dpa)

Nach ihrem Gespräch mit der Kanzlerin erklären Thunberg, Neubauer, de Wever und Charlier, Merkel habe versprochen "zu versuchen mutiger zu sein".

Von Jana Anzlinger

Vor genau zwei Jahren, am 20. August 2018, hat die heute 17 Jahre alte Greta Thunberg mit ihren wöchentlichen "Schulstreiks für das Klima" begonnen und damit eine weltweite Jugendbewegung angestoßen. Fridays for Future hat die menschengemachte Klimakrise im öffentlichen Bewusstsein gehalten, Staatenlenkende geben sich Mühe, die Erhitzung der Erde zumindest zu bremsen. Aber nicht genug Mühe, finden Thunberg und ihre Mitstreiter. Wenige Tage vor dem EU-Gipfel im Juli richteten sie einen offenen Brief, zu dessen Erstunterzeichnern Hunderte Prominente gehörten, an die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. In dem Brief fordern sie, dass die Staatengemeinschaft die Klimakrise als solche behandeln solle, dass sie "Ökozid" als Verbrechen verfolgen und dass sie sofort in allen Bereichen aufhören solle, fossile Energien zu nutzen.

Dieser Brief war der Anlass, aus dem Thunberg und drei weitere Klimaaktivistinnen am Donnerstagvormittag im Kanzleramt zu Gast waren. Sie hätten Merkel dazu aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen, erklärte die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer nach dem Gespräch. Bei der Pressekonferenz sagte die 24-Jährige, sie hätten mit der Kanzlerin 90 Minuten lang über nationale, internationale und EU-Politik diskutiert, wobei es vor allem um CO₂-Preise und das Mercosur-Handelsabkommen gegangen sei.

Thunberg, Neubauer und die Belgierinnen Anuna de Wever, 19, und Adélaïde Charlier, 20, betonten nach dem Gespräch in Berlin die Hoffnung, dass Merkel die Führung im weltweiten Kampf für den Klimaschutz übernehmen könne. "Wir können nicht die einzigen sein, die die Dringlichkeit dieser Krise kommunizieren", sagte de Wever. Sie hätten Merkel gegenüber gegen das Freihandelsabkommen zwischen dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur und der EU argumentiert, das zur Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes führe. Merkel habe ihnen versprochen, das Abkommen, wie es im aktuellen Entwurf vorliege, nicht zu ratifizieren.

"Sie hat gesagt, dass sie erwägt zu versuchen mutiger zu sein", sagte Charlier. Mit der deutschen Ratspräsidentschaft habe Deutschland "eine riesige Verantwortung". Deutschland hat seit Juli für ein halbes Jahr die Ratspräsidentschaft inne und steht deshalb im Fokus. 50 bis 55 Prozent weniger Treibhausgase bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 1990, wie die EU-Kommission und Merkel vorschlagen: zu wenig aus Sicht der Klimaschützer. Mit den momentan vereinbarten Klimazielen werde das Pariser Abkommen nicht umgesetzt werden können, sagte Charlier. Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, die Erhitzung der Erde auf unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad, zu begrenzen.

Auch der deutsche Kohleausstieg bis spätestens 2038 ist für Fridays vor Future viel zu zögerlich. Die Kanzlerin könne als Physikerin nachvollziehen, dass die Berechnung nicht aufginge, sagte Neubauer.

Thunberg traf die Bundeskanzlerin zum zweiten Mal. Kürzlich hatte die Schwedin ihre erste Begegnung beim UN-Gipfel in New York geschildert: Thunberg habe sich eigentlich auf ihre Rede vorbereiten wollen, sei aber dann von der Kanzlerin unterbrochen worden, die Fotos und Smalltalk habe machen wollen. Das zweite Treffen mit der Kanzlerin bewertete Thunberg besser: "Sie war nett, sie war sehr freundlich", so die Schwedin.

Die Bundeskanzlerin erklärte nach dem Treffen, die Erderhitzung sei eine globale Herausforderung. Beide Seiten seien sich in diesem Zusammenhang einig gewesen, dass den Industriestaaten bei der Bewältigung dieser Aufgabe eine besondere Verantwortung zukomme, ließ sie ihren Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilen. Basis dafür sei die konsequente Umsetzung des Pariser Klimaabkommens.

Um Fridays for Future war es in den vergangenen Monaten vergleichsweise ruhig geworden. Die Corona-Krise hatte die Klimakrise aus dem Mittelpunkt des öffentlichen Bewusstseins gedrängt. Zudem fielen Massendemonstrationen während der Pandemie aus; Fridays for Future sucht nun aber den Weg zurück auf die Straße. In den vergangenen Monaten hat die Bewegung mit Online-Kundgebungen, Plakataktionen und dem Brief an die EU versucht, das Klima auf der politischen Agenda zu halten. "Wir stecken gerade in einer Schleife", so Thunberg, "und Regierungen, Volk, Medien und Wirtschaft beschuldigen sich gegenseitig". Jemand müsse "diesen Teufelskreis brechen" und deshalb brauche es "Mächtige, die Verantwortung übernehmen".

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