Kleine Atommächte:Die neue nukleare Gefahr

North Korean leader Kim Jong Un supervised a ballistic rocket launching drill of Hwasong artillery units of the Strategic Force of the KPA on the spot

Ein Raketentest in der nordkoreanischen Landschaft. (Symbolbild)

(Foto: REUTERS)

Die Einsatzschwelle für Atomwaffen auf der Welt sinkt. Jetzt sind Geduld und Diplomatie gefragt - und nicht "Feuer und Zorn".

Gastbeitrag von Joschka Fischer

Für jemanden, der wie ich im Jahre 1948 geboren wurde, gehörte das Großrisiko eines nuklearen dritten Weltkriegs über Jahrzehnte zur Normalität. Die Gefahr der völligen Zerstörung Deutschlands in Ost und West war ständig präsent. Es war die Epoche des "Kalten Krieges" zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion.

Heute ist dieses Großrisiko zwar nicht völlig verschwunden, doch ein nukleares Armageddon, ausgelöst von der Konfrontation zweier hochgerüsteter Weltmächte, ist gleichwohl erheblich unwahrscheinlicher geworden. Wir haben es stattdessen mit einer neuen nuklearen Gefahr zu tun. Sie liegt darin, dass es immer mehr kleinere Atommächte gibt. Dabei handelt es sich um Staaten, deren Regimes instabil oder diktatorisch sind und für die das Überleben des Regimes oder begrenzte regionale Macht- oder Expansionsinteressen im Zentrum ihrer Nuklearstrategie stehen.

Das bedeutet aber auch, dass die Abschreckungsrationalität erodiert, wie sie sich während des Kalten Krieges zwischen den großen Atommächten entwickelt hatte; die Einsatzschwelle für Nuklearwaffen droht zu sinken, das Risiko ihrer Weiterverbreitung und damit auch ihres Einsatzes wird zunehmen.

Die USA setzen nicht mehr auf Rationalität

Die Vorstellung einer Nuklearisierung Ostasiens - von Nordkorea ausgehend - oder des Persischen Golfes macht klar, wie brandgefährlich diese Entwicklung für den Weltfrieden sein kann. Die jüngste rhetorische Konfrontation zwischen dem Führer des nordkoreanischen Regimes, Kim Jong-un, und dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump, hat dieses Risiko aller Welt vor Augen geführt. Trumps "Feuer und Zorn"-Rede hat zudem deutlich gemacht, dass der gegenwärtige Präsident im Umgang mit dem nuklearen Risiko, zumindest rhetorisch, ebenfalls nicht mehr auf Rationalität setzt, was man bis dato von der letzten Supermacht erwarten durfte. Trump lässt seinen Emotionen freien Lauf.

Der Präsident hat die Eskalation der Koreakrise nicht verursacht; diese schwelte schon sehr viel länger, weil das Regime in Nordkorea um jeden Preis Nuklearmacht werden will, um so seine Sicherheit zu gewährleisten. Zudem arbeitet Pjöngjang an der Entwicklung von Interkontinentalraketen, die zumindest die Westküste der Vereinigten Staaten erreichen können. Für jede US-Regierung ist das eine große Sicherheitsherausforderung, denn sie verfügt nur über schlechte Alternativen.

Ein Präventivkrieg gegen Nordkorea zöge die Gefahr einer direkten Konfrontation mit China nach sich; die Zerstörung Südkoreas drohte unmittelbar , die Folgen für Japan wären unabsehbar. Ein Krieg auf der koreanischen Halbinsel hätte zudem dramatische Folgen für die gesamte Weltwirtschaft, denn das Dreieck China, Südkorea und Japan bildet das neue Machtzentrum der globalen Ökonomie. Auch wenn man in Washington rhetorisch an der Kriegsoption festhält, weiß man dort wohl nur zu gut, dass dies angesichts der absehbaren Kosten und Risiken keine echte Option für die Politik ist.

Eine Nuklearmacht Nordkorea würde andererseits den Druck auf Südkorea und Japan massiv erhöhen, selbst nuklear aufzurüsten, was auch technisch innerhalb sehr kurzer Zeit möglich wäre. Die strategische nukleare Sicherheitsgarantie der Vereinigten Staaten würde durch den Durchbruch Nordkoreas zum Status einer Nuklearmacht erheblich entwertet werden.

In Asien droht ein nuklearer Rüstungswettlauf

China wiederum kann an einer solchen Entwicklung überhaupt kein Interesse haben, genauso wenig wie an einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel. Eine solche Perspektive würde zu einem nuklearen Rüstungswettlauf in dieser für die gesamte Weltwirtschaft zentralen Region führen, mit allen destabilisierenden Konsequenzen.

Eine solche Verbindung aus 20. Jahrhundert mit seinen Atomwaffenarsenalen und 19. Jahrhundert mit seinem Macht- und Prestigedenken wird sich als die hochgefährliche Mischung des frühen 21. Jahrhunderts erweisen, mit all seinen auf- und absteigenden Mächten und Strukturen, Institutionen und Allianzen im internationalen Staatensystem, die jetzt infrage gestellt werden.

Ein besonderes Augenmerk muss dabei den Vereinigten Staaten unter Präsident Trump gelten. Die dramatisch abnehmende innenpolitische Stabilität unter und in seiner Regierung muss Anlass zu großer Sorge sein. Die Probleme reichen von den Russland-Ermittlungen über die Gesundheitsreform Obamacare, die ungelösten Fragen des Staatshaushalts, die versprochene Steuerreform, den kaum finanzierbaren Bau einer Mauer nach Mexiko und die Verhandlungen zur Erneuerung des Freihandelsabkommens Nafta.

Dazu kommt der zweifelhafte Umgang mit der radikalen Rechten und eben die außenpolitische Krise um Nordkorea. Die emotionalen Ausbrüche des Präsidenten verschärfen die Probleme noch. Sollten die USA als Stabilitätsgarant ausfallen, so wird diese entscheidende Position international unbesetzt bleiben. Und gerade bei der Frage der Weiterverbreitung von Atomwaffen würde man dies sehr schnell schmerzlich spüren.

Zudem droht in diesem Herbst eine neue Gefahr in dem Konflikt zwischen den USA und Iran. Erneut geht es dabei um die Nuklearfrage. Die Vereinbarung zwischen den fünf Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats (plus Deutschland und EU) und Iran droht zu scheitern, wenn der Kongress neue Sanktionen beschließt und sich Iran, als Antwort darauf, aus der Vereinbarung zurückzieht.

Angesichts der Krise um Nordkorea wäre es unverantwortlich, ohne Not eine neue Nuklearkrise, diesmal im Nahen Osten, loszutreten. Sie brächte eine erhebliche Kriegsgefahr mit sich. Auch die Rückkehr der USA zu einer Strategie des regime change gegenüber Teheran wäre äußerst kurzsichtig, da dies die radikalen Kräfte stärken und damit das genaue Gegenteil von dem erreichen würde, was angeblich das Ziel ist. Und das in einer Region, in der es an Krisen und Kriegen keineswegs mangelt. Hinzu käme, dass Russland, China und die Europäer an dem Deal festhalten würden und damit zum ersten Mal die Vereinigten Staaten und Europa in dieser Frage uneins wären.

Angesichts der neuen nuklearen Gefahren zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist das Gegenteil von "Feuer und Zorn" gefragt, nämlich ein kühler Kopf, hohe Rationalität und geduldige Diplomatie und nicht gefährliche Illusionen von Abrüstungskriegen und militärisch erzwungenen Regimewechseln. Sollte sich die letzte verbleibende Supermacht Amerika von diesen Tugenden verabschieden, dann hätte die Welt ein echtes Problem.

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