Kleine Anfrage:Welche Organisationen nimmt die Union da ins Visier?

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Die Demonstrationen, wie hier in München, gegen die Abstimmung von CDU/CSU und AfD im Bundestag gelten als Auslöser für die Kleine Anfrage der Unionsfraktion. (Foto: Johannes Simon)

Seit die Unionsfraktion die Finanzierung von 17 Organisationen durchleuchten will, reißt die Kritik nicht ab. Die Betroffenen reagieren verwundert bis empört.

Von Michael Bauchmüller, Dominik Fürst und Sina-Maria Schweikle, Berlin

Die Feindschaft war über Jahre gewachsen, und sie war erbittert. Durch alle Instanzen hatte sich die Deutsche Umwelthilfe geklagt, und ziemlich oft mit Erfolg. Reihenweise mussten deutsche Städte Fahrverbote erlassen, weil die Luft zu schlecht war. Fahrverbote, wie sie auch in der CDU aufs Schärfste bekämpft wurden. Ende Dezember 2018, bei ihrem Parteitag in Hamburg, startete sie den Gegenangriff.

Mit Beschluss C 113 wollte sie seinerzeit prüfen lassen, ob die Umwelthilfe „noch die Kriterien für die Gemeinnützigkeit erfüllt“. Beschluss C232 ging noch einen Schritt weiter: Die CDU solle sich dafür einsetzen, dass die Umwelthilfe „keine Mittel mehr aus dem Bundeshaushalt bekommt“. Was noch nicht fest zugesagt sei, müsse eingefroren werden. Geschehen war danach wenig.

Insofern herrscht auch jetzt bei dem Umweltverband keine Panik. Er zählt zu jenen 17 Organisationen, die soeben ins Visier der Unionsfraktion geraten sind. Mit den 551 Fragen einer „Kleinen Anfrage“ geht sie der Finanzierung der Organisationen nach. Sind sie gemeinnützig, wurde das gründlich geprüft, bekamen sie Geld vom Staat und haben sich womöglich parteipolitisch engagiert? Schließlich seien jüngste „Proteste gegen die CDU Deutschlands“ auch von gemeinnützigen Vereinen unterstützt worden – oder solchen, die Geld vom Staat bekommen. Die Union hat nun Zweifel an der Unabhängigkeit der Verbände. Und viele der Verbände haben nun Zweifel an der Union.

Die Geldströme der NGOs könnten im Lobbyregister eingesehen werden

Die Umwelthilfe etwa hatte mit den Demos wenig zu tun. Als die Proteste Anfang Februar ihren Höhepunkt erreichten, kümmerte sie sich gerade um Gasbohrungen vor Borkum und die Geschicke der Gäubahn bei Stuttgart. Wer wolle, könne mühelos alle Geldströme für die Umwelthilfe nachvollziehen, sagt Umwelthilfe-Chef Sascha Müller-Kraenner. „Wir fragen uns, warum die Unionsfraktion Informationen bürokratisch aufwändig bei der Bundesregierung erfragt, die öffentlich zugänglich sind.“ Dafür gebe es schließlich das Lobbyregister des Bundestags.

Dort wird öffentlich gemacht, welche Interessenvertretung Einfluss auf Gesetze und politische Entscheidungen nehmen will – und in welcher Höhe die verschiedenen Organisationen staatlich gefördert werden. Für die Umwelthilfe stehen darin für das Geschäftsjahr 2023 öffentliche Zuwendungen von knapp 2,7 Millionen Euro, für Projekte rund um Klima-, Umwelt- und Naturschutz. Zum Vergleich: Die Mercedes-Benz Group AG erhielt im selben Zeitraum von Bund und Ländern rund 15,6 Millionen Euro – etwa für Forschungsprojekte. Aber für Mercedes interessiert sich die Union nicht.

„Wir haben zu keiner Demonstration aufgerufen“, sagt die Amadeu Antonio Stiftung

Anruf bei der Amadeu Antonio Stiftung, auch sie findet sich unter den 17 Organisationen. 1998 gegründet, kämpft sie gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Früher wurde ihr auch vorgeworfen, linksextremistisch zu sein. Für ihre Projekte hat sie laut Lobbyregister 2023 mehr als fünf Millionen Euro an öffentlichen Mitteln erhalten, davon 1,3 Millionen vom Familienministerium.

Frage 142 im Fragenkatalog: „War die Amadeu Antonio Stiftung nach Erkenntnissen der Bundesregierung in der Vergangenheit an politischen Kampagnen beteiligt, und wenn ja, welche?“ Timo Reinfrank, der geschäftsführende Vorstand der Stiftung, wundert sich. „Es wäre einfacher, uns direkt zu fragen.“ Die Stiftung sei überparteilich, politische Kampagnen würden nicht unterstützt, aber gelegentlich kommentiert. Klar, bei ihrer Gründung vor 25 Jahren habe sie ein eher aktivistisches Profil gehabt, sagt er. Aber das sei 25 Jahre her.

„Wir haben zu keiner Demonstration aufgerufen und uns als Stiftung auch an keiner beteiligt“, sagt Reinfrank. Doch das Vorgehen der Union schüchtere nun viele ein, gerade auch in Ostdeutschland, wo Mitstreiter der Stiftung Initiativen gegen Rechtsextremismus begleiten. Und wenn Förderprogramme wie „Demokratie leben“ wegfielen? Dann hätte man schon ein Problem, schließlich würden dann zwei Projekte samt Mitarbeitern wegfallen, erklärt Reinfrank. Was nicht heiße, dass man solche Förderprogramme und ihr Volumen nicht auch kritisch hinterfragen dürfe.

Die AfD-Kritik am Bundesprogramm „Demokratie leben!“ besteht schon länger

Schon länger wird das im Familienministerium angesiedelte Bundesprogramm „Demokratie leben!“ (Umfang: 182 Millionen Euro) kritisiert, das zahlreiche solcher Projekte unterstützt. Das grüne Ministerium betreibe so Klientelpolitik, heißt es dann. Insbesondere die AfD kritisierte, dass das Programm vor allem auf Rechtsextremismus ziele und etwa Linksextremismus oder Islamismus vernachlässige. Die Union kritisierte die Intransparenz der Förderbedingungen – und drohte nach den Protesten gegen Union und AfD, das Programm gegebenenfalls „ganz zu streichen“.

Gemeinnützigen Organisationen, die sich an „parteipolitischen Aktionen“ gegen die Union oder Merz beteiligten, könnten künftig staatliche Gelder entzogen werden, sagte der CDU-Politiker Mathias Middelberg. „Ein solches Agieren ist ganz sicher nicht mehr gemeinnützig und auch nicht förderungswürdig durch Steuermittel der Allgemeinheit.“ Fragen dazu, wieso eigentlich genau diese 17 Organisationen das Interesse der Union finden, will die Fraktion nicht mehr beantworten.

Auf der Liste findet sich auch die Berliner Denkfabrik Agora Energiewende. Manche verbinden sie mit Ideen für das Heizungsgesetz, schließlich entstanden hier die ersten Vorarbeiten, und Chef war bis 2021 der spätere Habeck-Staatssekretär Patrick Graichen. Aber Geld vom Staat? Man werde vor allem von Stiftungen finanziert, heißt es bei Agora Energiewende. Nur zwei größere Projekte werden aus Mitteln des Bundes finanziert – beide drehen sich um den Umbau von Stromsystemen im Ausland. Insgesamt stammten 21 Prozent der Zuwendungen aus staatlichen Töpfen. Man arbeite aber unabhängig von wirtschaftlichen und parteipolitischen Interessen. Und logischerweise habe man auch nicht zu Demos aufgerufen. Agora Energiewende und seine Schwesterorganisation Agora Agrar sind der Union trotzdem 66 Fragen wert.

„Skandalös“, sagen die Omas gegen rechts. „Wir erhalten kein staatliches Geld.“

Und schließlich sind da noch die „Omas gegen rechts“, und die hatten nach der gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD im Bundestag Ende Januar tatsächlich zu Protesten in mehreren Städten aufgerufen. War das von Steuergeldern finanziertes parteipolitisches Engagement, wie die Union in ihrer „Kleinen Anfrage“ insinuiert? „Skandalös“, nennt die Sprecherin der Berliner Ortsgruppe, Marianne Zepp, diese Unterstellung. „Das ist der Versuch, unser Recht auf Protest zu verhindern. Wir erhalten kein staatliches Geld.“

„Omas gegen rechts“ gibt es in mehreren deutschen Städten, die Initiative für Demokratie und gegen rechtspopulistische Strömungen wird über einen Trägerverein lose zusammengehalten. Der ist aber nicht gemeinnützig, und „nicht jede Oma ist Mitglied“, sagt Zepp. Die „Omas“ finanzierten sich mit Spenden. „Damit bezahlen wir unsere Flyer und unser Informationsmaterial.“ Die rund 18 000 Euro, die seit Anfang 2022 aus Mitteln von „Demokratie leben!“ geflossen sind: „Das waren drei Veranstaltungen zusammen mit anderen Vereinen.“ Nichts Parteipolitisches.

Die „Omas“ wollen sich nicht einschüchtern lassen. „Die Bewegung wird in dieser Weise weitermachen. Wo gegen demokratische Prinzipien verstoßen wird, sehen wir Anlass genug für Protest“, sagt Zepp. Aber sie seien auch beunruhigt: „Diesen Versuch, eine Protestbewegung zu delegitimieren, hat bisher nur die AfD gemacht.“

Alarmiert sind auch andere: In einem offenen Brief kritisieren mehr als 1700 Wissenschaftler das Verhalten der Union, es sei „im höchsten Maße beunruhigend, dass die Kleine Anfrage das Narrativ eines ‚tiefen Staates‘ aufgreift“. In Zeiten globaler Verwerfungen sei die demokratische Zivilgesellschaft „so wichtig wie nie“.

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