Süddeutsche Zeitung

Klaus Töpfer:"Durchhalten"

Der langjährige CDU-Umweltminister Klaus Töpfer unterstützt SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der eine Klimaabgabe für alte Braunkohlekraftwerke plant.

Interview von Michael Bauchmüller

Sieben Jahre lang, bis 1994, war er Umweltminister, später leitete er das UN-Umweltprogramm, und er war Kopf der Ethikkommission für den Atomausstieg: In Sachen Ökologie ist der CDU-Politiker Klaus Töpfer Deutschlands oberste Instanz. Nun äußert er sich zum Plan von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, dem SPD-Chef, eine Klimaabgabe für alte Braunkohlekraftwerke einzuführen.

SZ: Herr Töpfer, wenn Sie jetzt noch mal ein oder zwei Jahre lang Umweltminister sein könnten, was würden Sie in Angriff nehmen?

Klaus Töpfer: Ich habe mir angewöhnt, auf hypothetische Fragen nicht zu antworten. Oft wird ja spöttisch gesagt, dass die besten Minister die ehemaligen wären.

Aber Rat können Sie vielleicht geben.

Zumindest meine Meinung kann ich teilen.

In der Union standen Sie mit Ihrer kritischen Haltung zur Kernkraft lange relativ allein. Derzeit legt sich SPD-Chef Sigmar Gabriel mit den Gewerkschaften an, weil er alten Kohlekraftwerken auf den Pelz rückt. Was würden Sie ihm empfehlen?

Durchhalten. Der Weg, den er geht, ist in der Breite der Bevölkerung unstrittig. Sein Vorschlag ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll. Nicht nur mit Blick auf den Klimaschutz, sondern auch wegen der wirtschaftlichen Zukunft Deutschlands. Ich bin überzeugt, dass den erneuerbaren Energien die Zukunft gehört, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wer statt dessen auf alte Strukturen setzt, muss sich fragen lassen, ob das vernünftige Wirtschaftspolitik ist.

Gewerkschaften sprechen von bis zu 100 000 bedrohten Jobs.

Das kann ich nun wirklich nicht erkennen, und ich will mich auch gar nicht an dieser Zahlenakrobatik beteiligen. Solche Zahlen sollen Wirkung erzeugen. Aber wichtig ist: Die betroffenen Menschen dürfen nicht alleingelassen werden.

Einen Tagebau-Beschäftigten in der Lausitz oder im Rheinland interessiert auch nicht, ob er einer von 100 000 oder einer von 30 000 ist.

Kollegen, Familien, Freunde: Eine Kohlefirma macht mobil

Mit einer Großdemonstration wollen sich die Beschäftigten der deutschen Kohleindustrie gegen das drohende Aus für Braunkohletagebaue und - kraftwerke wehren. Nach den Plänen von Gewerkschaften und Betriebsräten soll die Kundgebung unter dem Motto "Wir wehren uns" am 25. April in Berlin stattfinden. Die Organisatoren erwarten mehr als 15 000 Bergleute und Kraftwerker aller Reviere und Standorte in Deutschland. Der Protest richtet sich auch gegen die von der Bundesregierung geplante Klimaabgabe für Kraftwerke. "Die Umsetzung dieses Vorhabens hätte für unser Unternehmen existenzielle Folgen", heißt es in einem internen Papier des Kohleunternehmens Mibrag aus Leipzig. Man wolle deshalb mit dem Protest in Berlin ein "weithin sichtbares Zeichen setzen". Allein auf die eigenen Mitarbeiter verlassen will sich die Mibrag dabei allerdings nicht. Außer denen und Führungskräften sei auch die Teilnahme von "Angehörigen, Bekannten sowie Mitarbeitern unserer Tochterunternehmen und Partnerfirmen" ausdrücklich erwünscht, heißt es in einem Protest-Aufruf. Mit der Kundgebung verschärft sich der Streit um die Zukunft der deutschen Kohleindustrie: Sie ist als Gegenkundgebung zu einer Menschenkette von Umweltschützern im rheinischen Revier Garzweiler am selben Tag gedacht. Markus Balser

Natürlich darf man das nicht leichtnehmen. Ich habe lange in einem Bundesland gearbeitet, das sich unter Schmerzen vom Steinkohlebergbau verabschiedet hat, im Saarland. Das war eine riesige gesellschaftspolitische Herausforderung. Warum aber kann man heute nicht genauso engagiert sagen: Wir stehen jetzt auch bei der Stromerzeugung vor einer Strukturveränderung?

Vielleicht, weil in Kraftwerke schon viele Milliarden investiert sind, auf die Unternehmen ungern verzichten?

Das ist natürlich ein wichtiges Argument. Aber Dinge ändern sich, auch technologisch. Wir sind in einem Prozess, in dem sich kleinere, vernetzte Lösungen zunehmend gegen Großtechnik durchsetzen, auch gegen Großkraftwerke. Deshalb ist es sinnvoll, den Strukturwandel jetzt einzuleiten. Denn wenn wir uns vornehmen, bis 2050 zwischen 80 und 95 Prozent weniger Kohlendioxid auszustoßen, werden wir unter den gegebenen Bedingungen keine Braunkohle mehr verstromen können.

Zur Person

Der langjährige Bundesumweltminister Klaus Töpfer, 76, ist heute Exekutivdirektor des Potsdamer "Instituts für Nachhaltigkeitsstudien" (IASS). Dort forschen 100 Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaftler aus mehr als 30 Ländern.

Trotzdem genehmigen Landesregierungen wie in Brandenburg neue Tagebaue.

Jeder Investor wird sich fragen, ob sich ein neuer Tagebau überhaupt noch rechnet. Die Dynamik der erneuerbaren Energien nährt daran erhebliche Zweifel.

Wird denn ein Braunkohlekonzern wie RWE auf Dauer überleben können?

Der Wandel ist in vollem Gange. Man kann ihn verzögern, verlangsamen. Aber nicht stoppen. Ein Unternehmen, das seine Perspektive nur darin sieht, alte Strukturen zu erhalten, wird vielleicht einen Zeitraum überbrücken können. Aber Zukunft ist das nicht. Die Entwicklung bei den Erneuerbaren wird sich nicht mehr aufhalten lassen.

Vorbehalte gegen Gabriels Pläne gibt es auch unter Ihren Parteifreunden. Die CDU/CSU-Fraktion hat ihm einen Katalog mit 150 kritischen Fragen zugestellt.

Es gibt auch innerhalb der Fraktion eine Meinungsvielfalt. Da gibt es eine Reihe von Abgeordneten, die sich sehr offen für Gabriels Pläne gezeigt haben, auch öffentlich. Dass man darüber in einer Fraktion diskutiert, auch Fragen stellt, ist guter parlamentarischer Brauch. Ob ein kurzfristig eingereichter Fragenkatalog von diesem Umfang gegenüber einem Koalitionspartner der richtige Stil ist, will ich nicht bewerten. Aber die Antworten, die jetzt vorliegen, führen auf jeden Fall in der Sache weiter.

Die Kanzlerin selbst schweigt dazu.

Ja, ich habe aber auch nichts Ablehnendes von ihr gehört. Und dass der Vizekanzler so einen Plan in die Welt setzt, ohne das Kanzleramt einzubinden, ist eher unwahrscheinlich. Es ist ja ganz klar, dass das eine Diskussion in diesem Land auslöst.

Kohle gehört eben zur deutschen DNA.

Wem sagen Sie das? Mein Großvater ist durch schlagendes Wetter im Bergwerk ums Leben gekommen. Mein ganzes Leben über hat mich die Kohle begleitet, im Saarland, in Ibbenbüren, als Umweltminister. Aber gerade weil auch Kohlekraftwerke eine so große Rolle gespielt haben, muss man den Wandel begleiten.

Wie könnte das konkret aussehen?

Wir brauchen einen gesellschaftlich breit getragenen Kohlekonsens. Wir müssen uns heute zusammensetzen und uns darüber unterhalten, wie eine planmäßige Rückführung der Braunkohle aussehen kann: Wie ist der künftige Pfad, wie ist der zeitliche Ablauf, was bedeutet das für die betroffenen Regionen? Dazu gehören dann auch flankierende Maßnahmen, um den Strukturwandel vor Ort abzufedern. Wir dürfen nicht vergessen: Der aktuelle Vorschlag eines nationalen Klimabeitrags soll nur helfen, 40 Prozent weniger Kohlendioxid bis 2020 zu erreichen.

Nach Fukushima sprachen Sie vom großen "Gemeinschaftswerk" Energiewende. Nun hört man nur noch von Streit.

Gemeinschaftswerk heißt ja nicht, dass es keine unterschiedlichen Meinungen darüber gäbe, wie die Energiewende im Einzelnen abläuft. Ich sähe das Gemeinschaftswerk allein dann in Gefahr, wenn plötzlich die Forderung aufkäme, wir brechen das ab. Aber selbst diejenigen, die Kritik vorbringen, kleiden diese immer in ein Bekenntnis zur Energiewende.

Um dann ein großes Aber anzufügen.

Mag sein, und in dem Aber steckt manchmal das glatte Gegenteil des Bekenntnisses. Aber es zeigt auch, dass das Gemeinschaftswerk hält. Für mich ist heute klarer denn je, dass es auf Sicht eine andere Energietechnologie geben wird, die sich bei uns wesentlich entwickelt hat. Immer mehr Menschen wollen sich hierzulande selbst mit Ökostrom versorgen, global sind die Erneuerbaren längst ein Erfolgsmodell geworden. Die Wende lässt sich nicht mehr stoppen. Aber gerade deshalb sollten wir uns jetzt auf die Konsequenzen einstellen.

Hätten Sie vor 20 Jahren gedacht, dass sich die Dinge einmal so entwickeln?

Vor zwanzig Jahren? Nicht einmal vor zehn Jahren hätte ich das gedacht.

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Quelle:
SZ vom 15.04.2015
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