Klaus Kinkel über Hans-Dietrich Genscher:"...vor allem ist er: treu"

Wenige Menschen kennen Hans-Dietrich Genscher so lange und gut wie Klaus Kinkel. Sein Nachfolger als FDP-Chef und Außenamt beschreibt seinen politischen Ziehvater als intergeren Politiker, der Willy Brandt besonders schätzte - und mit dem man bisweilen lautstark streiten konnte.

Klaus Kinkel war Genschers Nachfolger als FDP-Chef und als Außenminister. Die beiden kennen sich schon seit dem Amtsantritt Genschers als Innenminister 1969, als ihn der Liberale entdeckte und förderte. Bis heute verbindet beide ein enges Verhältnis.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel FDP

Dort hängt bald mein Bild: der scheidende Bundesaußenminister Klaus Kinkel zeigt Ende Oktober 1998 auf "seinen Platz" in der "Ahnengalerie" des im Auswärtigen Amts in Bonn.

(Foto: DPA)

"Am 22. Oktober 1969 wurde Hans Dietrich Genscher zum Bundesinnenminister ernannt. Zu diesem Zeitpunkt war ich im BMI im Bereich Öffentliche Sicherheit tätig, und ich erinnere mich noch sehr gut an die Amtsübergabe durch Staatssekretär Gumbel in der nüchternen Turnhalle des BMI in der Graurheindorfer Straße in Bonn. Für mich war er bereits mein 3. Minister nach Lücke und Benda.

Natürlich war das ganze Haus gespannt, was jetzt auf uns zukommen würde. Der neue Minister ging sofort neue Wege: Er richtete eine innenpolitische Planungsgruppe ein, der ich angehörte und mit der er sich jeden Dienstag frühmorgens 7.30 Uhr zusammensetzte. Eines Tages ließ er mich rufen und fragte mich, ob ich mir - zusammen mit seinem damaligen Büroleiter Schaible - zutrauen würde, innerhalb von 24 Stunden das vom Haus und Bundeskriminalamt erarbeitete "Sofortprogramm zur Verbrechensbekämpfung", das zwei Tage später der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte, öffentlichkeitswirksam zu überarbeiten.

Herr Schaible, der leider kürzlich verstorben ist, und ich machten uns an die Arbeit; sie gelang uns, und das Programm wurde Genschers erster großer Erfolg als Bundesinnenminister. Wir waren mit ihm stolz darauf. Kurze Zeit später rief mich Genscher erneut zu sich und fragte mich, ob ich sein persönlicher Referent werden wolle.

Dies überraschte mich, vor allem, da ich zu diesem Zeitpunkt nicht Mitglied der FDP war. Es spielte für Genscher damals keine Rolle. Später hat er mir erzählt, ihm habe unter anderem gefallen, dass ich mich als Hilfsreferent - für ihn aus den Akten nachvollziehbar - geweigert hatte, eine Ministervorlage mitzuzeichnen. Sicher hat auch das Sofortprogramm zur Verbrechensbekämpfung eine Rolle gespielt.

Ich erbat Bedenkzeit und beriet mich mit meiner Frau, meinem Vater - zu dem ich ein besonderes Vertrauensverhältnis hatte - und meinem besten Freund. Alle rieten mir zu.

Es war der Beginn unserer jahrelangen Zusammenarbeit im Bundesinnenministerium und ab 1978 im Auswärtigen Amt, die von Station zu Station enger wurde und sich, wie Genscher es in seinen Memoiren selbst schildert, über das dienstliche Verhältnis hinaus zu menschlicher und freundschaftlicher Verbundenheit entwickelte.

Ja, Hans-Dietrich Genscher war immer ein anstrengender Vorgesetzter, fordernd, ungeduldig - auch in der Zusammenarbeit anspruchsvoll. Aber er war zugleich fürsorglich, gerecht, durchaus dankbar und vor allem treu - sowohl seiner Familie, als auch seinen Freunden und Mitarbeitern gegenüber; eine Eigenschaft, die besonders charakteristisch bis heute für ihn ist.

"Nach der Einheit mussten ihn Gott und die Welt nach Halle begleiten"n

Wir konnten uns immer aufeinander verlassen. Nicht selten waren wir durchaus verschiedener Meinung, haben auch gestritten und manchmal wurde wütend die Tür zugeschlagen; danach fanden wir aber immer wieder zum versöhnlichen Gespräch.

Hans-Dietrich Genscher

Hans-Dietrich Genscher im Jahre 2011

(Foto: dpa)

Ich habe in beiden Ministerien und der Partei schwere Zeiten mit ihm zusammen erlebt, zum Beispiel 1972 den Anschlag auf die israelische Olympia-Mannschaft in München, eine der schwierigsten Stunden für Genscher, der sich als Geisel angeboten hatte; dann die schlimme RAF-Zeit, die bei den Menschen den Eindruck erwecken musste, der Staat würde mit dem Terroristen-Problem nicht fertig; die Guillaume-Affaire, die Genscher in schwierigstes Fahrwasser brachte, obwohl er gerade Willy Brandt außerordentlich schätzte und mit ihm längst einig war, dass er sein Außenminister werden sollte.

Im Auswärtigen Amt waren es unzählige gemeinsame Reisen und viele unvergessliche Erlebnisse, gerade auch in der Dritten Welt, wo nicht immer nur die Sonne schien. Mir fallen unzählige Episoden ein. Es fehlt der Platz zur Wiedergabe.

Immer hatte Genscher vor allem Europa im Auge und die Wiedervereinigung Deutschlands, sein großes Lebensziel, das er im Gegensatz zu vielen anderen nie aufgegeben hatte, an dem er geradezu fanatisch festhielt. Dass er an dieser Wiedervereinigung dann 1990 entscheidend mitwirken durfte, war zweifellos der Höhepunkt seines politischen Lebens. Keiner war glücklicher als er, der überzeugte Hallenser.

Nach der Wiedervereinigung musste Gott und die Welt, vor allem alle nur greifbaren Außenminister, ihn nach Halle begleiten. Stolz zeigte er allen seine Vaterstadt. Mir war an meiner Wiege nicht gesungen, dass ich einmal sein Nachfolger als Außenminister und auch als Parteivorsitzender werden sollte. In beiden Ämtern in die großen Schuhe meines politischen Ziehvaters hineinzuwachsen, war nicht einfach für mich. Über all die Jahre wurde unser Verhältnis immer enger, wir genießen das beide sehr.

Oft wärmen wir am Kaminfeuer mit Vergnügen alte Geschichten wieder auf, die sich unsere Frauen schmunzelnd zum x-ten Mal anhören müssen; wir tauschen uns über unsere Familien, insbesondere über unsere Großvater-Erfahrungen aus. Nie werde ich sein besonderes Verhältnis zu seiner Mutter vergessen, die nach dem frühen Tod des Vaters rührend um das einzige Kind besorgt war. Das hat er ihr liebevoll zurückgegeben.

Viele Gespräche und Kontakte - besonders in der letzten Zeit - gelten natürlich unserer FDP, die sich hoffentlich bald wieder im Aufwind befindet.

Übrigens: bei aller Vertrautheit, wir duzen uns nicht. Die gegenseitige Achtung, das beiderseitige Gefühl der Unabhängigkeit mag der Grund sein. Jegliche übervertrauliche Attitüde ist uns fremd.

Zum Schluss ein persönliches Wort an ihn selbst: Lieber Hans-Dietrich Genscher, in freundschaftlicher Verbundenheit sehr herzliche Glückwünsche zum 85. Geburtstag, alles, alles Gute - vor allem Gesundheit!"

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