Süddeutsche Zeitung

Klatsch & Tratsch:Beißhemmung auf dem Boulevard

Immer häufiger wehren sich Prominente gegen falsche Berichte - und die Reporter werden vorsichtiger.

Von Hans Leyendecker

Mit Bild und Bunte will der Sänger Herbert Grönemeyer, 60, prinzipiell nichts zu tun haben: "War nie meine Welt." Als beide Blätter vor gut zwei Monaten auf ihren Titelseiten über seine Hochzeit berichteten, reagierte er geradezu routiniert. Klage! Dabei waren die Journalisten diesmal doch fast schon charmant gewesen. "Ja-Wort mit Josefine (28) in Frankreich", schrieb Bild. "Heimliche Hochzeit - Sie ist 28", meldete Bunte und fügte noch ein "Exklusiv" dazu.

Nun ist Grönemeyers Frau nicht 28 Jahre alt, sondern älter. "Deutlich älter", sagt sein Medienanwalt Christian Schertz. "Aus Gründen der Persönlichkeitsrechte" wollen Anwalt und Sänger nicht das wirkliche Alter der Frau nennen, aber sie wollen vor Gericht Gegendarstellungen gegen das falsche Alter erzwingen. Sie ist, soll dann da stehen, nicht so jung, wie die Redakteure geglaubt, gemeint oder erfunden haben.

Grönemeyer ist Grönemeyer. Er stammt aus dem Ruhrgebiet, und da lernt man früh, sich zu wehren. Auch wenn der Vater oder der Großvater nicht auf der Zeche oder im Stahlwerk gearbeitet haben. Die "Schlagzahl, mit der Prominente gegen Falschberichterstattung vorgehen, ist insgesamt härter geworden", sagt Schertz. Auch Günther Jauch beispielsweise geht seit vielen Jahren gegen alles vor, was er für eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte hält. Meist mit Erfolg. Neulich allerdings haben er und seine Frau vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bei einer Klage nicht recht bekommen. Da ging es um alte Hochzeitfotos.

Den schmalen Grat zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz hat es immer schon gegeben. Aber früher - so sieht es jedenfalls aus - nahmen sich der Kloakenjournalismus und auch die harmloseren Klatsch- und Tratschblätter viel mehr heraus als heute. Man redete von der Pressefreiheit, meinte aber oft nur das Geschäft.

Die Zahl der Medienanwälte hat zugenommen. Auch das führt zu mehr Klagen

Ob das Urteil im Kachelmann-Fall den schwächelnden Boulevard auch wegen der Höhe der Entschädigung beeindrucken wird oder nicht, wird man sehen. Aber Fachleute erkennen schon seit Längerem den Trend, dass die rohen und wilden Angriffe auf den Persönlichkeitsschutz seltener geworden sind. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass Prominente und Stars nur noch ab und an mit dem Boulevard zusammenarbeiten. "Stars haben heute ihre eigenen Vertriebskanäle über die sozialen Medien", sagt Anwalt Schertz. Sie würden so die "Tür zum Boulevard zuhalten". Dadurch hätten sie in Zweifelsfällen bei Gericht bessere Chancen. Denn wer die Tür zum Privaten beispielsweise durch eine Kooperation selbst aufgemacht hat, verliert eher seinen Schutz.

Zudem wird häufiger und schneller vor den Pressekammern geklagt. Vieles, was früher ungerügt blieb, führt heute zu Verurteilungen. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen. Auch wenn viele der wichtigen Fälle bei wenigen Anwälten wie Schertz, Michael Nesselhauf, Gernot Lehr und Ralf Höcker landen, ist die Zahl der Anwälte, die sich um die zahlreichen Facetten des Medienrechts kümmern, geradezu explodiert. Und Anwälte brauchen Mandanten.

Der Bonner Anwalt Lehr, der beispielsweise den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff vertrat, sieht eine Veränderung der Lage durch das Internet. Immer wieder würden einige Online-Redaktionen im "Wettbewerb zu schnell Fotos ins Netz stellen", die bei einer "kühlen Abwägung nie veröffentlicht worden wären". Dagegen wird dann geklagt. Andererseits ermuntere das Internet, das kein Alzheimer kennt, auch die Betroffenen, gegen Falschberichterstattung oder Verletzung der Persönlichkeitsrechte frühzeitig vor Gericht zu ziehen. Was heute möglicherweise falsch in der Zeitung steht, werde Monate oder Jahre später immer noch zu finden sein, wenn man sich nicht dagegen durch eine einstweilige Verfügung wehre. Den Mandanten sei klar, dass es "dann im Netz bleibt", sagt Lehr, und deshalb würden heute "frühzeitig Stoppschilder aufgestellt".

Die Verrohung, da sind sich die Fachleute einig, resultiert auch aus der Anonymität des Internets. Vor ein paar Jahren warnten die Medienrechtler Christian Schertz und Dominik Höch in ihrem Buch "Privat war gestern - Wie Medien und Internet unsere Werte zerstören" vor einer "Zweiteilung". An den Schutz der persönlichen Ehre in der digitalen Welt dürften keine geringeren Anforderungen gestellt werden als in der realen Welt. Aber die Möglichkeit, anonym zu bleiben, begünstige "Straftaten gegen die persönliche Ehre". Wohl nicht zuletzt deshalb wird häufiger, wenn jemand mal unter seinem Klarnamen beleidigt wird, vor Gericht ein Schaden wegen der Netz-Veröffentlichung geltend gemacht.

In der realen Welt führt der Kampf um Persönlichkeitsrechte manchmal zu Absurditäten. Als im Frühjahr Das Goldene Blatt eine Geschichte über den klagefreudigen Grönemeyer machen wollte, erkannten Leser nur sein Foto und konnten die Überschrift lesen: "Mit 60 am Ziel seiner Träume". Der Rest war Blindtext - wirre Buchstabenreihen. Ohne Sinn. Immerhin: Gegen diesen Text konnte der Sänger nicht klagen.

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SZ vom 13.07.2016
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