Klassische Musik:Kinderspiel

Der Kontrabass ist plötzlich populärer denn je, vor allem bei jüngeren Musikern. Kein Wunder: Die Hersteller haben sich in den vergangenen Jahren einiges einfallen lassen, um Kinder zu begeistern.

Von Reinhard J. Brembeck

Wenn sich Ludwig Streicher über sein Instrument beugte, dann wirkte der Kontrabass in den Händen des massigen Manns so klein wie ein Cello. Mit beiläufiger Leichtigkeit spielte der langjährige Chefkontrabassist der Wiener Philharmoniker selbst aberwitzigste Virtuosenstücke wie den "Hummelflug" von Nikolaj Rimski-Korsakow. Kontrabass, so lautete Streichers Botschaft, ist ein Kinderspiel. Zumindest für einen ausgewachsenen Mann. In die gleiche Richtung zielt Patrick Süskind, wenn er in seiner Monologkomödie "Der Kontrabass" - der österreichische Schauspieler Nikolaus Paryla hat damit Triumphe gefeiert - erklärt: "Kontrabass spielen ist eine reine Kraftsache, mit Musik hat das erst einmal nichts zu tun. Drum kann auch ein Kind nie im Leben Kontrabass spielen."

Tempi passati. An diesem Montag beginnt in München der ARD-Musikwettbewerb, eine der berühmtesten und bei Interpreten beliebtesten Veranstaltungen dieser Art. Doch während die Zahl der Anmeldungen bei Harfe, Horn und Streichquartett im Vergleich zu früheren Jahren leicht zurückging, gab es beim Kontrabass mehr Bewerber denn je. Juror Nabil Shehata - er hatte 2003 in München den ersten Preis erhalten - bekam 127 Bewerbungen auf den Tisch, knapp die Hälfte lud er ein. Kontrabass ist derzeit ganz groß in Mode, und Shehata weiß auch, warum. Denn mittlerweile ist Kontrabass tatsächlich ein Kinderspiel.

Kinder lernen Geige, Bratsche oder Cello traditionell auf kleineren Instrumenten. Die heißen dann Viertelcello, halbe Bratsche, Dreiviertelgeige. Wobei die scheinbar so exakten mathematischen Bezeichnungen nicht wörtlich zu nehmen sind. Eine Dreiviertelgeige etwa ist nicht ein Viertel, sondern nur ein Zehntel kleiner als eine ausgewachsene Violine. Beim Kontrabass aber kam der Trend zum Klein- und Kleinstinstrument erst in den vergangenen Jahrzehnten auf. Denn anders als bei der Geige war es nicht damit getan, kleinere Bässe zu bauen. Die Instrumentenbauer mussten sich in puncto Saitenabstand und -dicke, Klang und Spielweise so einiges einfallen lassen.

Mittlerweile gibt es sogar 1/16-Bässe. Während die schwingende Saitenlänge bei einem mehr als zehn Kilogramm schweren Normalbass 114 Zentimeter beträgt, kommt der nur drei Kilo wiegende 1/16-Bass auf gerade einmal 70 Zentimeter. Auf solch einem Minibass können schon Fünfjährige zurechtkommen und zudem das Gefühl haben, auf einem "echten" Bass zu musizieren - während sich Kinder im vergangenen Jahrtausend oft mit Normalinstrumenten abquälen mussten, was nicht selten zu Haltungsschäden führte. Zudem lag das Einstiegsalter dereinst bei frühestens 13 Jahren. Davor spielten viele Cello, das aber ganz anders gehandhabt werden will als ein Kontrabass.

Aber selbst die Kleinbässe sind noch unhandlich sperrige Teile, die sich nicht so problemlos wie ein Laptop transportieren lassen. Wer das Glück hat, in einer der zunehmend häufig an Schulen angebotenen Streichklassen Kontrabass zu spielen, hat meist zwei Instrumente zur Verfügung, eines in der Schule und eins daheim. So scheint Ludwig Streichers Vision in der Tat Wirklichkeit zu werden: Kontrabass ist zu einem Kinderspiel geworden.

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