Süddeutsche Zeitung

Klassische Musik:Heilig's Blechle

Jetzt erklingt wieder das Weihnachtsoratorium. Das wichtigste Instrument dabei - die störrische Naturtrompete.

Von Helmut Mauró

Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach hat es wie wenige andere Werke geschafft, über die Grenzen der Klassikwelt hinaus zu wirken. Es ist ein gewaltiges Werk, das spürt jeder. Weniger bewusst ist einem dabei der enorme Aufwand, der nötig ist, um solch ein Stück einigermaßen sauber über die Bühne zu bringen. Ein großer Chor, vier Solisten und ein umfangreiches Orchester müssen nicht nur für sich gut präpariert, sondern auch untereinander genauestens abgestimmt sein. Und seit man damit begonnen hat, auch noch die alten Instrumente der Barockzeit wie etwa die Naturtrompete wegen ihrer individuellen Farbigkeit wieder zu verwenden, ist die Sache noch komplizierter geworden. Und riskanter, denn es kann auch schiefgehen.

Das betrifft weniger jene Instrumente, die wie ihre modernen Schwestern gespielt werden, wie etwa die Oboe d'amore. Aber wenn es um den Einsatz von Naturhörnern und Barocktrompeten geht, sieht die Sache anders aus. Zumal, wenn man das ganze Jahr über die moderne Ventiltrompete an den Lippen hatte, nun aber ohne die hilfreichen Klappen zurechtkommen muss: Dann braucht es viel Gottvertrauen auf die Naturtöne, die allein durch Lippenspannung und Anblasdruck erzeugt werden müssen.

Diese sogenannten Naturtrompeten sind die gleichen, die auf den Schlachtfeldern zum Angriff geblasen wurden. Aber schon vor Bach wanderten sie in die Orchester, wobei die Bläser ihren militärischen Rang behielten und noch bis ins 20. Jahrhundert mit ihren paukenden Kollegen stolz auf erhöhtem Podium standen. Aber auch von dort kann man tief fallen. Wer mal erlebt hat, wie drei Stunden weihnachtlicher Hochstimmung innerhalb von Sekunden in sich zusammenfallen, weil der Trompeter statt Strahletöne zu produzieren, immer wieder quiekend am Wohlklang vorbeischrammt, der weiß, was diese Musiker anrichten können, die ungleich ihren militärischen Vorreitern gleichsam selber den Ausgang dieser Stimmungsschlacht verantworten.

Und so wird der Schlusschor des Weihnachtsoratoriums oft genug zur Zitterpartie zwischen Glanz und Elend. "Nun seid ihr wohl gerochen" - so beginnt der Schlusschoral, und dabei geht es in der alten Wortform nicht um Körperhygiene, sondern um Rache. "Denn Christus hat zerbrochen, was euch zuwider war." Und zwar mit zugehöriger Schlachtenmusik, mit Pauken und Trompeten. Diese klingen nun nicht mehr bedrohlich, sondern siegessicher, triumphal.

Es folgen die letzten Worte: "Tod, Teufel, Sünd und Hölle sind ganz und gar geschwächt; bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht." Beim Hörer haben, gelingt denn alles, vor allem die Trompeter ihre Stelle. Dialektisch zugespitzt hat das Johann Sebastian Bachs gleichaltriger Kollege Georg Friedrich Händel. In seinem Oratorium "Der Messias" gibt es die Arie "The Trumpet Shall Sound". Ein Sänger tritt allein gegen das Instrument an. Ausgang ungewiss. Bach dagegen stellt den Sänger in die schützende Chorgruppe und bürdet allein den stolzen Trompetern das Risiko des Scheiterns auf. Ist das noch Kunst oder schon Erziehung?

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Quelle:
SZ vom 08.12.2018
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