Süddeutsche Zeitung

Umfrage unter Kita-Leitungen:"Den empfohlenen Betreuungsschlüssel können wir schon lange nicht mehr einhalten"

Den Kindern fehlt die angemessene Betreuung, die Erzieher verlieren die Freude an der Arbeit. Eine neue Umfrage unter Kita-Leitungen zeigt, wie folgenschwer der Personalmangel ist.

Von Vera Kraft

Die schönen Dinge fallen als Erstes weg, sagt Kita-Leiterin Barbara Nolte. Aufwendige Bastelprojekte oder ein Ausflug zum Bauernhof brauchen nun einmal genug Personal. Aber auch der Bildungsauftrag von Kitas sei immer stärker gefährdet: "Oft geht es nur noch um reine Betreuung", sagt Nolte. Dass die pädagogische Qualität unter dem Fachkräftemangel in Kitas leidet, zeigt eine aktuelle Umfrage unter 5400 Kita-Leiterinnen und -Leitern, die der Verband Bildung und Erziehung (VBE) durchgeführt hat.

Die Ergebnisse sind eindeutig: Fast 95 Prozent der Kita-Leitungen geben an, dass sich der Personalmangel in ihrer Einrichtung in den vergangenen zwölf Monaten verschärft hat. Es sei schwieriger geworden, passende Erzieherinnen oder Erzieher zu gewinnen - und die vorhandenen kämen häufiger an ihre Belastungsgrenze.

"Den empfohlenen Betreuungsschlüssel können wir schon lange nicht mehr einhalten", sagt Nolte, die eine Kita im Kreis Paderborn in Nordrhein-Westfalen leitet. Optimalerweise sollte eine Erzieherin für maximal drei Kinder unter drei Jahren oder sieben bis acht Kinder über drei Jahren verantwortlich sein. In über zwei Dritteln aller Fälle kann das laut Umfrage aber nicht gewährleistet werden.

"Wir sollen immer mehr Aufgaben stemmen."

Dadurch sinke die pädagogische Qualität, sagen 88 Prozent der Befragten, manche Angebote fielen sogar komplett weg. Sprachförderung und musikalische Bildung etwa, das komme oft zu kurz, berichtet Nolte, die beim VBE NRW Referentin ist. Darunter leiden die Kinder, aber auch die Erzieher. "Viele brennen für ihren Job", sagt Nolte, doch unter diesen Umständen brenne man schnell aus. Acht von zehn Kita-Leitungen geben an, der Personalmangel schade der Freude an der Arbeit. Zudem steige durch die hohe Arbeitsbelastung häufig der Krankenstand.

Die Politik werde ihrer gesetzlichen Verantwortung nicht gerecht, kritisiert der VBE-Vizevorsitzende Tomi Neckov. Diesen Eindruck scheinen auch viele Kita-Leiterinnen zu teilen. Obwohl acht von zehn den Job immer noch gern ausüben, fühlen sich viele von der Politik nicht genug wertgeschätzt.

"Aktuell befinden wir uns in einer Abwärtsspirale", sagt Nolte. "Wir sollen immer mehr Aufgaben stemmen, bei immer stärker schwindenden Ressourcen." So seien politische Ziele wie etwa längere Öffnungszeiten unmöglich zu erreichen. Denn in der Praxis helfen laut Umfrage eher kürzere Öffnungszeiten, Springerkräfte und Mehrarbeit dabei, der Lage Herr zu werden. Langfristig gesehen braucht es aber andere Instrumente, sagen viele Befragte: bessere Bezahlung, neue Stellen und mehr individuelle berufliche Perspektiven.

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