Süddeutsche Zeitung

Kitas:Mangel im Überfluss

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Weil Erzieherinnen fehlen, leidet in vielen Kitas die Qualität der Betreuung. Mindeststandards können häufig nicht eingehalten werden. Kinder lernen daraus: Auf keinen ist Verlass.

Von Edeltraud Rattenhuber, München

Kranzberg ist ein idyllisches Fleckchen nördlich von München: Durch den Ort mäandert die Amper, ein Naherholungsgebiet am See lädt zum Verweilen ein, es gibt eine Grundschule, eine Kirche, ein Wirtshaus und selbstverständlich auch ein Kinderhaus mit Krippe, Kindergarten und Hort. Alles perfekt also - meinte man zumindest. Vergangenes Jahr jedoch standen in Kranzberg bis zu drei Kita-Gruppen vor der Schließung - wegen Personalmangels. Und Ersatz war auf die Schnelle nicht zu bekommen. Mindestens 2000 Euro gab die Gemeinde für Stellenanzeigen aus. Mittlerweile hat sich die Lage zwar stabilisiert, doch der Schock sitzt bei den Eltern und im Gemeinderat heute noch tief.

Was Kranzberg nicht tröstet: Es liegt voll im Trend. Laut einer Umfrage, die Ende März beim Deutschen Kita-Leitungskongress, einem Treffen von Kita-Leiterinnen und -leitern, in Düsseldorf vorgestellt wurde, führt personelle Unterbesetzung in Kitas zu immer mehr Einschränkungen, sowohl beim Betreuungsangebot als auch bei den Öffnungszeiten. An der Umfrage haben 2628 Kitaleiterinnen und -leiter teilgenommen. 90 Prozent von ihnen gaben an, in den vergangenen zwölf Monaten mit zu wenig Personal gearbeitet zu haben. Die Folgen sind gravierend.

Susanne Viernickel, Professorin an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig, überraschen die Ergebnisse der Umfrage gar nicht. Sie sieht die Klagen der Kita-Leiterinnen als großes Problem - zumal sie sich wie ein roter Faden durch die letzten Jahre zögen. "Das Problem hat sich sogar noch verschärft", sagt Viernickel. Dass nichts vorangehe, die Arbeitssituation immer schwieriger werde, führe bei Kita-Leitungen zu einer "großen Enttäuschung über die Politik", sie fühlten sich gar nicht wahrgenommen. Die traurige Realität sei aber, dass es eine kurzfristige Lösung für diese Probleme nicht gebe, meint Viernickel. Auch weil in der Vergangenheit zu viel versäumt worden sei.

"Die Politik hat die Situation auf dem Arbeitsmarkt jahrelang schön gerechnet - mit der Folge, dass dieser heute leergefegt ist", sagt auch der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann. Bei der Vorstellung der Studie kritisierte er, die Politik habe aus den Kita-Leitungen "permanente Mangelverwalter" gemacht, die Ausnahmesituation sei zur "bitteren Normalität" geworden. Zu wenig Geld, kaum Anerkennung, das treibt die Motivation der Mitarbeiterinnen in Kitas in den Keller. Wertschätzung für ihre Arbeit sehen sie nicht. 60 Prozent der Kita-Leitungen klagen zudem über zu viele Verwaltungsaufgaben. 80 Prozent fühlen sich von der Politik generell im Stich gelassen.

Konsequenz des Personalmangels ist in vielen Fällen, dass Mindeststandards beim Betreuungsverhältnis nicht eingehalten werden können. In der Regel kümmert sich eine Fachkraft um drei Kinder unter drei Jahren oder 7,5 Kinder über drei Jahren. Dass eine Erzieherin oder Kinderpflegerin zwölf Mädchen und Jungen betreut, ist angesichts des Personalmangels aber nicht mehr selten. Zuweilen sind es noch viel mehr. Man kann ja nicht immer, wenn jemand krank wird, die Kita schließen. Das birgt allerdings rechtliche Risiken.

Der Arbeitsmarkt gibt derzeit kaum Erziehungsfachkräfte her - nicht nur in Ballungsräumen. Nach Schätzungen des Deutschen Jugendinstituts werden bis 2025 etwa 300 000 Erzieherinnen benötigt. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) will hier mit einer Fachkräfteoffensive gegensteuern. Geplant ist, von 2019 bis 2022 insgesamt rund 300 Millionen Euro den Ländern und damit den Einrichtungen vor Ort zur Verfügung zu stellen - zusätzlich zu den 5,5 Milliarden Euro aus dem Gute-Kita-Gesetz.

Die Kinder lernen schon in ihren ersten Lebensjahren: Auf niemanden ist Verlass

Das ist zwar aus Sicht der Erziehungswissenschaftlerin Viernickel löblich. "Das Gute-Kita-Gesetz ist ein guter Schritt", sagt sie, zum ersten Mal gebe der Bund substanziell Geld in die Kitas. Die Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen kommt aus ihrer Sicht dennoch viel zu spät. Seit 2013 gebe es einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder ab einem Jahr, man habe also einen langen Vorlauf gehabt. Jetzt würden zwar die Ausbildungskapazitäten hochgefahren und man habe es sogar geschafft, Personalschlüssel zu verbessern. Doch ändere das alles nichts an der Tatsache, dass das Personal nicht zur Verfügung stehe, kritisiert Viernickel.

Und die Kinder? Was macht es eigentlich mit ihnen, wenn sie schon im Kleinkindalter in der Kita mit immer neuen Bezugspersonen fertigwerden müssen? Susanne Viernickel bedauert, dass es in Kitas kein flächendeckendes Monitoring über die Qualität der Betreuung gebe. Aus Studien zur Bindungsentwicklung im familiären Kontext wisse man aber, dass die Kinder aus immer wieder abgebrochenen Beziehungen vor allem eines lernen können: Auf niemanden ist Verlass.

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SZ vom 02.04.2019
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