Süddeutsche Zeitung

Frühkindliche Betreuung:Kitas brauchen weitere 106 000 Fachkräfte

Die Zahl der Fachkräfte in den Kitas hat sich deutlich erhöht - doch vielerorts steht noch immer kein Personal zur Verfügung. Wie gut Kinder betreut werden, hängt zudem zu sehr vom Wohnort ab, zeigt die Bertelsmann Stiftung.

Von Edeltraud Rattenhuber

Wie gut Krippen- und Kitakinder betreut werden, hängt in Deutschland immer noch zu sehr vom Wohnort ab. Das beklagt die Bertelsmann Stiftung in ihrem soeben veröffentlichten Ländermonitoring "Frühkindliche Bildungssysteme 2019". Denn die Personalausstattung vieler Kitas, vor allem in den östlichen Bundesländern, entspricht nach wie vor bei Weitem nicht den Standards, welche Experten für eine gute frühkindliche Betreuung fordern.

Schuld ist vielfach der Personalmangel. Dieser belaste nicht nur die Kita-Qualität, sondern auch die Erzieherinnen und Erzieher und erschwere es, mehr Menschen für den Beruf zu begeistern, heißt es in der Studie. Veränderungen im Ausbildungssystem wären eine Lösung, aber auch eine höhere Vergütung und vor allem bessere Arbeitsbedingungen für das Kitapersonal.

"Gute-Kita-Gesetz" - eine "vertane Chance"

Das "Gute-Kita-Gesetz", über das der Bund den Ländern 5,5 Milliarden Euro für eine Verbesserung der Kita-Qualität zukommen lässt, hält der Vorstand der Bertelsmann Stiftung, Jörg Dräger, für eine "vertane Chance". In vielen Bundesländern wird das Geld nicht in die Qualität der Kitas investiert, sondern in die Senkung oder Abschaffung der Kitagebühren. Insgesamt fehlen in Deutschland laut der Bertelsmann-Stiftung 106 500 Fachkräfte, um die große Aufgabe zu stemmen.

Laut der Länderstudie hat sich durch den Kita-Ausbau zwar die Zahl der pädagogischen Fachkräfte deutlich erhöht. Doch verbessern sich die Personalschlüssel vielerorts zu langsam. Entweder steht kein Personal zur Verfügung, oder es springt wegen der vielfach schwierigen Arbeitsbedingungen ab und reißt ein Loch, das erst einmal nicht gestopft werden kann. Das belastet Erzieherinnen und Erzieher und wirkt sich dadurch negativ auf die Qualität der Kitas und damit auch auf die Psyche der Kinder aus.

Letztlich entsteht ein Teufelskreis: Die schlechten Nachrichten über die Arbeitsbedingungen in den Kitas erschweren zusätzlich die Bemühungen, mehr Menschen für den Beruf zu begeistern.

Personalmangel hängt mit geringer Bezahlung zusammen

Dass der Personalmangel stark mit der geringen Bezahlung der Kitakräfte zusammenhängt, weiß Kathrin Bock-Famulla, die bei der Bertelsmann Stiftung den Bereich frühkindliche Bildung leitet. Nach ihrer Ansicht muss man schnellstmöglich an die Vergütungsstrukturen ran.

Erzieher und Kinderpfleger verdienen im Vergleich zu anderen Berufen zu wenig. Zudem müssen viele Nachwuchskräfte für ihre Ausbildung immer noch bezahlen, andere Auszubildende dagegen bekommen Geld in berufsbegleitenden Modellen - auch um Quereinsteiger für den Beruf zu gewinnen. Diese Ungleichbehandlung sei "eine große Hürde bei der Findung von zukünftigem Nachwuchs", meint Bock-Famulla.

Doch will die Bertelsmann Stiftung nicht alles schlechtreden, was durch den Kita-Ausbau der vergangenen Jahre erreicht wurde. Von 2008 bis 2018 sei die Zahl des pädagogischen Personals um 54 Prozent angestiegen, von rund 380 000 auf rund 582 000. Diese "enorme Aufstockung" würdigt die Stiftung als "großen Erfolg". Auch sei die Personalsituation in den Kitas im bundesweiten Durchschnitt seit 2013, als der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz eingeführt wurde, verbessert worden.

Allerdings sehen die Forscher bei den einzelnen Bundesländern weiter "unterschiedliche Entwicklungsdynamiken". In Bremen und Thüringen beispielsweise hat sich nach Erkenntnissen der Forscher die Personalausstattung in Krippen- als auch in Kindergartengruppen im vergangenen Jahr sogar verschlechtert oder sie stagniert.

Gelobt wird Mecklenburg-Vorpommern, wo bei den Personalschlüsseln "der größte Qualitätssprung für die älteren Kinder" gelungen sei. Doch immer noch ist der Personalschlüssel hier sehr schlecht, auf eine Fachkraft im Kindergarten kommen in dem nordöstlichsten Bundesland 13,2 Kinder.

Baden-Württemberg dagegen konnte seine günstigen Bedingungen sogar noch ausbauen und unterbietet im Kindergartenbereich die Empfehlungen der Bertelsmann Stiftung. Diese fordert für eine kindgerechte Betreuung, dass in Krippengruppen maximal drei Kinder von einer pädagogischen Fachkraft betreut werden, und in Kindergartengruppen 7,5 Kinder. Diese Quoten erreichen nur wenige Kitas. Zum Stichtag 1. März 2018 wurden im bundesweiten Durchschnitt in Krippengruppen 4,2 Kinder von einer Erzieherin betreut, im Kindergarten 8,9 Kinder.

Doch das ist der Idealfall. In Bundesländern mit ohnehin ungünstigen Betreuungsschlüsseln kann es bei Krankheit einer Fachkraft oder plötzlichem längerem Ausfall für die Kinder sehr stressig werden in der Kita.

In Mecklenburg-Vorpommerns Kindergartengruppen muss dann beispielsweise eine Mitarbeiterin fast 20 Kinder betreuen, in Baden-Württemberg 10,5 Kinder. Zeit zum Trösten oder individuellem Spielen mit der Erzieherin bleibt da nicht. Zudem müssen Erzieher mittlerweile etwa ein Drittel ihrer Arbeitszeit für Aufgaben außerhalb der pädagogischen Praxis aufwenden: Elterngespräche, Qualitätsentwicklung oder Bildungsdokumentationen.

Der Personalmangel hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Qualität der Kinderbetreuung, sondern auch auf die Psyche der Kitakräfte. Deren Arbeitsbelastung steigt, viele fühlen sich ausgebrannt. "Die körperlichen und psychischen Belastungen nehmen zu", sagt Expertin Bock-Famulla. Hier müsse man präventiv arbeiten durch bessere Personalplanung, oder Strategien zum Stressabbau vermitteln. Sonst könne man nicht verhindern, dass Erzieher wieder aus dem Beruf aussteigen.

Insgesamt sieht die Expertin den Bereich Kita in einer schwierigen Lage. Man habe verschlafen, dass es zu dieser schwierigen Personalsituation kommen könne. Bis 2025 soll zudem ein Recht auf einen Ganztagsbetreuungsplatz für Schüler hinzukommen. Woher hierfür das Personal kommen soll, ist bisher nicht klar.

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