Kirgistan:"Usbeken sind Kakerlaken"

Osch liegt im Ferghanatal, jener fruchtbaren, konservativen, aufrührerischen Ebene, die sich über Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan erstreckt. Usbeken, Kirgisen und Tadschiken leben hier, Uiguren und Araber, Russen, Türken und Afghanen. Als die Sowjetunion zerfiel, übernahmen die jungen postsowjetischen Republiken Zentralasiens das wahnwitzige politische Design des roten Imperiums, nur trennen diesmal echte Grenzen ganze Völker und schlossen andere Nationen zusammen. In Osch leben die geschäftstüchtigen urbanen Usbeken und die kirgisischen Nomaden zusammen, in Wahrheit ist Osch eine kirgisische Stadt mit usbekischem Äußeren, mit "Tschaichonas", Teehäusern, mit Ziegelminaretten und Koranschulen. Aber jetzt sind die Tschaichonas verkohlt, viele usbekische Häuser leer. Und an den Straßenrand hat jemand geschrieben: "Usbeken sind Kakerlaken."

Es sind grausige Geschichten in Umlauf. Usbeken haben kirgisische Mädchen vergewaltigt und ihnen die Brüste abgeschnitten, sagen die Kirgisen. "Sie waren auf diese Eskalation vorbereitet. Seit den Unruhen vor 20 Jahren haben sie auf diesen Moment gewartet", sagen andere. Und ein Dritter, der wie alle anderen seinen Namen nicht nennen will, treibt den Verschwörungswahn auf die Spitze. Die Usbeken hätten ihre eigenen Häuser angezündet, hetzt er, und dann die Tat den Kirgisen angehängt.

Eine Stadt wird ethnisch fragmentiert. Kirgisen und Usbeken sind in ihren Vierteln gefangen, getrennt voneinander, als seien sie bissige Hunde. Und Melisbek Myrsakmatow, Bürgermeister von Osch, hat seit vier Tagen seinen Schreibtisch nicht verlassen, er dämmert nur nachts manchmal weg. An diesem Mittwoch will er neue Versöhnungsgespräche beginnen mit der usbekischen Gemeinde und den Aksakaly, den kirgisischen Ältesten: "Ich bin überzeugt, dass das Volk sich einigen wird. Das Volk will diese Gewalt nicht." Wer aber will sie dann?

Etwa die Anhänger des verjagten Ex-Präsidenten Kurmanbek Bakijew, der aus dem Süden stammte und hier seine Hausmacht hatte? Oder jene Unterwelt-Größen, die vom Chaos leben und Gewalt säen und nichts lästiger finden als einen Staat, der ihre Bücher prüft, wie Rosa Otunbajewa es angekündigt hat? So konkret möchte Mairambek Sopojew lieber nicht werden. Stattdessen spricht er von "finsteren, feigen Kräften", deren Tatbeteiligung ermittelt werde, sobald nicht mehr geschossen wird.

Vor seinem Büro, direkt unter dem riesigen Lenin und der gigantischen roten Nationalfahne, sammeln sich jene, die so lange nicht warten möchten. Eine Gruppe kirgisischer Bauarbeiter aus Tadschikistan will schnell nach Hause. "Wir kommen wieder, wenn es ruhiger wird", sagen sie. Und Erkebaj Kabylow hat vor zwei Tagen seine letzten ausländischen Studenten verabschiedet. Jetzt ist er wiedergekommen, um die jüngsten Neuigkeiten zu erfahren. Kabylow ist Historiker für kirgisische Geschichte an der Universität in Osch. 1200 Pakistanis, Turkmenen oder Araber haben hier studiert. Die sind jetzt weg. "Dies ist die größte Tragödie in der Geschichte unseres Landes", sagt er: "Wir sind um 15 Jahre zurückgeworfen, die Wirtschaft, die Zukunft unserer Kinder - alles vorbei."

Und doch sind in Osch auch Stimmen zu hören, die an das alte, nicht nur erzwungene sowjetische Nebeneinander anknüpfen wollen. Selbst die Übergangsregierung unter Rosa Otunbajewa, die rührend gutgläubig Flugblätter mit Friedensappellen über der Stadt hatte abwerfen lassen, zeigt offenbar nach Wochen der Lähmung wieder Lebenszeichen. Ob sie zumindest die nächsten Monate überstehen kann, dürfte davon abhängen, wie rasch und wie gerecht die Not im Süden des Landes gelindert wird.

Am Dienstag stürmten aufgebrachte Frauen in die Stadtverwaltung und verlangten, den Kommandanten zu sprechen: Ihr Haus habe man mit ein paar Kilo Mehl und Öl abgespeist, ereiferten sie sich, andere hätten ein Vielfaches bekommen. Ja, an diesem Dienstag ist es relativ ruhig in Osch.

Nicht ruhig genug. In der Nacht zum Dienstag organisierte die deutsche Botschaft die Evakuierung von 89 Europäern und anderen Ausländern aus Kirgistan. Erstmals in einer solchen Krise fiel den Deutschen diese Aufgabe zu; sie haben als einziger EU-Staat in Bischkek eine Botschaft. Kooperiert haben die Deutschen bei der Evakuierung mit den Amerikanern. Das zumindest ist erfreulich.

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