Kirchentag:Ein Ort des Vertrauens

Das Protestantentreffen fragt in diesem Jahr nach dem Vertrauen - und trifft damit den Kern der gesellschaftlichen Debatten. Es zeigt sich: Vertrauen, auch Gottvertrauen, kann nicht verordnet, hergestellt, gekauft werden. Es muss langsam wachsen dürfen.

Von Matthias Drobinski

Kirchentagsmottos sind Glückssache: Mal erfassen sie den Geist des Protestantentreffens, mal gehen sie daneben. Dieses Jahr trifft es. "Was ist das für ein Vertrauen, auf das du dich stützt?", fragt der Gesandte des mächtigen Assyrerkönigs den König von Juda, Hiskia, als der sich ihm nicht unterwerfen will. Hiskia vertraut darauf, dass es noch andere Kräfte gibt als das Militär und die Arroganz der Macht - und behält recht. "Was für ein Vertrauen!" haben die Macher über die Versammlung der 100 000 in Dortmund geschrieben.

Wenn etwas knapp geworden ist im reichen Deutschland, dann das Vertrauen: darin, dass der Nachbar nichts Böses im Schilde führt und Lehrer Gutes für die Schüler wollen, dass Behörden und Politiker zum Wohl des Landes arbeiten, Journalisten unabhängig und Kirchen am Heil der Menschen interessiert sind. Das Misstrauen hat seine Wurzeln bis in die feinsten Ritzen getrieben und das Vertrauen zerbröselt, dass einer es gut meint, einen Kompetenzvorsprung besitzt, dass etwas schon gut werden wird.

Zum Glück ist die Zeit vorbei, zu der das Vertrauen blind zu sein hatte und die Pflicht der Unteren gegenüber den Oberen war. Und viele Institutionen haben mutwillig Vertrauen vernichtet; Politiker haben ihre Versprechen gebrochen, die Kirchen durch die sexuelle Gewalt, die sie geschehen ließen, die Liebe verraten, die sie predigten. In einer demokratisch verfassten Gesellschaft gibt es zu Recht Vertrauen nur unter Vorbehalt und auf Zeit, nie als Blankoscheck; Vertrauen ohne gekittete Risse, Brüche, Narben ist falsche Vertrauensseligkeit.

Doch auf Misstrauen lässt sich kein Gemeinwesen gründen. Der Vertrauensverlust fördert die Aggression genauso wie die lähmende Angst. Er ist der Boden, auf dem die Vorstellung wächst, der Staat führe einen Krieg gegen die Bürger, und die müssten sich wehren, auch mit Gewalt. Und er befeuert die Weltuntergangsangst derer, die den Globus ausweglos vor der Klimakatastrophe sehen. Der Kirchentag bietet in diesen Tagen den Gegenentwurf zum ängstlichen und vertrauenslosen Verharren.

Er versammelt die, denen das nicht genug ist, die an der Klimarettung werkeln, die in den Eine-Welt-, Asyl-, und Frauenrechts-Gruppen die Welt gerechter machen wollen. Sie mischen sich ein, weil sie an einen Gott glauben, der Mensch geworden ist und deshalb die Menschlichkeit auf Erden will. Man kann sich, in ironischer Distanz, über manches Weltenrettungspathos lustig machen, das in Dortmund vorgebracht wird. Aber wo sonst versammeln sich mehr als 100 000 Menschen, die darauf vertrauen, dass das, was sie tun, nicht vergebens sein wird?

Eine Garantie für dieses Vertrauen gibt es nicht. Wer vertraut, nimmt das Risiko auf sich, dass dieses Vertrauen enttäuscht werden könnte. Auch deshalb kann Vertrauen nicht verordnet, hergestellt, gekauft werden. Es muss wachsen. Wo es einmal verloren ging, wächst es besonders langsam, wo es kaputt gemacht wurde, kommt es oft nie wieder. Einer der Orte auf dem Kirchentag, wo das geübt wurde, war das erste offene Forum, auf dem auch reden konnte, wer über Flüchtlinge oder den Islam eine andere Meinung hat als die Kirchentags-Mehrheit. Sich dem auszusetzen tut weh. Aber schmerzfrei wächst das Vertrauen nicht.

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