Kirchenrecht:Licht ins dunkle Geheimnis

Rom, Vatikan 23.10.2019 Schatten der Hand von Papst Franziskus I. mit dem Brustkreuz bei der woechentlichen Generalaudi

Die Bekämpfung sexuellen Missbrauchs hat er zur Chefsache gemacht: Papst Franziskus, hier eine Impression von der wöchentlichen Generalaudienz.

(Foto: imago)

Kirchliche Verfahren wegen Missbrauchstaten von Priestern fanden bisher hinter fest verschlossenen Türen statt. Papst Franziskus hat nun mehr Transparenz angeordnet.

Von Matthias Drobinski

Bahnbrechend. Epochal. Genau zum richtigen Zeitpunkt. Erzbischof Charles Scicluna, in der vatikanischen Glaubenskongregation zuständig für Fälle von sexueller Gewalt, erging sich in Superlativen, als das Internetportal Vatican News ihn nach seiner Meinung zur Entscheidung von Papst Franziskus fragte, das "päpstliche Geheimnis" bei Missbrauchsverfahren gegen Priester und Ordensleute aufzuheben. "Das Opfer hatte keine Gelegenheit zu wissen, was genau aus seiner Anzeige wurde, weil es ein 'päpstliches Geheimnis' gab", sagte der Erzbischof - das werde nun anders.

Die Instruktion "Sulla riservatezza delle cause", das Kirchengesetz "über die Vertraulichkeit von Verfahren" also, kommt nüchterner daher. Es regelt in fünf Absätzen, dass Verfahren zu sexuellen Handlungen an Minderjährigen, zum Besitz von Kinderpornografie, zu sexuellen Handlungen unter Gewalt, Drohung oder Amtsmissbrauch sowie zur Vertuschung all dieser Taten nicht mehr unter die strengste Stufe der vatikanischen Geheimhaltung fallen. Bislang nämlich waren solche Verfahren so geheim wie zum Beispiel die Auswahlverfahren für eine Bischofs- oder Kardinalsernennung. Wer Dokumente bekommt, die dem "secretum pontificium" unterliegen, verpflichtet sich per Eid, keine Information daraus weiterzugeben; bei Zuwiderhandlungen droht eine Disziplinarstrafe.

Die strenge Geheimhaltung diene dem Persönlichkeitsschutz der Betroffenen wie der Beschuldigten, hatte die Kurie bislang argumentiert. Die Betroffenen erlebten den Verweis auf das "päpstliche Geheimnis", dessen Regeln letztmals 1974 aktualisiert wurden, aber oft als Täter- und Institutionenschutz. Sie hatten keine Chance, sich über den Stand des kirchlichen Verfahrens zu informieren, sie wussten in der Regel auch nicht, ob der Beschuldigte freigesprochen oder verurteilt wurde - und wenn ja, zu welcher Strafe. Auch für die weltliche Justiz waren die Akten der kirchlichen Verfahren tabu, Unterlagen, die für Strafverfahren entscheidend werden konnten. Entsprechend scharf kritisierten die Betroffenenverbände diese Regelung im Februar, als der Papst die Bischofskonferenzvorsitzenden aus aller Welt zur Kinderschutz-Krisenkonferenz bestellte. Und sie fanden Verbündete. Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, sagte, er halte die Einwände gegen eine größere Transparenz für nicht nachvollziehbar. Auch die Kirchenverwaltung habe dazu beigetragen, dass der Auftrag der Kirche "diskreditiert und verunmöglicht wurde". Das müsse nun Konsequenzen haben.

Deutsche Bistümer müssen Verdachtsfälle den Behörden melden - eigentlich

Am Ende setzten sich die Befürworter einer Lockerung der Geheimhaltungsstufe durch, und Papst Franziskus änderte das Kirchengesetz entsprechend. Für vatikanische Verhältnisse ging das schnell, der Papst hat die Bekämpfung der sexuellen Gewalt tatsächlich zur Chefsache gemacht. Rund um die Kinderschutzkonferenz hatte er sich scharfe Kritik anhören müssen, dafür, dass er beschuldigte Bischöfe verteidigte, wo es nichts zu verteidigen gab, vor allem aber für seine schwache Rede zum Abschluss der Konferenz, wo er erst einmal klarstellte, dass sexuelle Gewalt nun mal überall vorkomme - als hätte die katholische Kirche nicht ein besonderes Problem mit ihr. Nun scheint der Papst beweisen zu wollen, wie ernst es ihm mit der Aufklärung des Skandals ist. Es heißt, er habe einige Widerstände im Vatikan überwinden müssen, um das Ende des "secretum pontificium" durchzusetzen.

Für die katholische Kirche in Deutschland werden die neuen Bestimmungen praktisch keine Auswirkungen haben. Seit 2010 müssen hier Verdachtsfälle bis auf wenige Ausnahmen an den Staatsanwalt weitergegeben werden. Die Frage ist eher, wie konsequent diese Leitlinie in den 27 Bistümern und Erzbistümern befolgt wird. Eine Recherche der Süddeutschen Zeitung ergab im Februar ein sehr uneinheitliches Bild: Einige Bistümer kooperieren immer noch nur dann mit den Staatsanwaltschaften, wenn es nicht mehr anders geht. Auch bei der neuen, nun weltweit geltenden Regel wird es darauf ankommen, wie ernst es die Bischöfe und Kirchenbehörden mit der Transparenz meinen.

Aufarbeitungsbedarf gibt es jedenfalls genug. Am Tag, nachdem Papst Franziskus den Missbrauchsprozessen mehr Transparenz verordnete, nahm er den Rücktritt des Papst-Botschafters in Paris an: Erzbischof Luigi Ventura wird unter anderem vorgeworfen, beim Neujahrsempfang der Pariser Bürgermeisterin einen jungen Mann sexuell bedrängt zu haben. In Deutschland wiederum richtete die Bischofskonferenz einen Betroffenenbeirat ein, er soll kritisches Gegenüber der Bischofskonferenz sein. Bis zum 7. Februar 2020 können Betroffene ihr Interesse anmelden; ein unabhängiges Gremium soll dann über die Zusammensetzung des Beirats entscheiden.

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