Süddeutsche Zeitung

Glaube:Die Kirchen werden immer leerer

440 000 Menschen sind im vergangenen Jahr aus der katholischen und evangelischen Kirche ausgetreten. Doch die Corona-Maßnahmen haben die Zahlen verzerrt.

Von Annette Zoch

Die großen Kirchen verlieren weiter Mitglieder: Im vergangenen Jahr sind um die 440 000 Menschen ausgetreten, wie katholische und evangelische Kirche am Mittwoch mitteilten. Verglichen mit dem Rekord-Verlustjahr 2019 sank die Zahl der Austritte aber: Bei den Katholiken kehrten 221 390 Menschen der Kirche den Rücken, knapp 19 Prozent weniger. Bei den Protestanten waren es 220 000 Menschen, 18 Prozent weniger. Rechnet man Sterbefälle hinzu, hat die katholische Kirche 417 000 Mitglieder im vergangenen Jahr verloren, die evangelische 477 000.

Allerdings verzerrt die Pandemie die Statistik stark. Wegen Ausgangsbeschränkungen waren in zahlreichen Bundesländern Standesämter und Amtsgerichte zeitweise geschlossen - der Kirchenaustritt muss allerdings meist in Präsenz erklärt werden.

Auch bei den Taufen schlug sich Corona nieder. Viele Eltern haben die Zeremonie verschoben; in der katholischen Kirche wurden fast 55 000 Kinder weniger getauft als 2019 (159 043 Taufen) und bei den evangelischen Taufen halbierte sich die Zahl beinah, auf nur noch 81 000. Dafür holen viele Familien Feiern nun nach, man erlebe einen "Taufboom", sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm. Zugleich betonte er: "Jeder Kirchenaustritt bekümmert mich." Sein Kollege auf katholischer Seite, der Bischofskonferenz-Vorsitzende Georg Bätzing, sprach von einer "tiefen Erschütterung" der Kirche: "Viele haben das Vertrauen verloren und möchten mit dem Kirchenaustritt ein Zeichen setzen. Wir nehmen das sehr ernst und müssen uns dieser Situation offen und ehrlich stellen." Dazu gehöre in erster Linie die gründliche Aufarbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs. Die Vertrauenskrise um Kölns Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki, die jüngst zu einer Austrittswelle führte, dürfte sich erst 2021 in den Zahlen niederschlagen.

Die Evangelischen Landeskirchen für Württemberg und Westfalen stellten am Mittwoch eine Pilotstudie zu Kirchenaustritten vor. Demnach nennen die meisten Menschen keinen konkreten Anlass für ihre Entscheidung. Die Mehrheit stehe der Kirche schon lange distanziert gegenüber. Während Jüngere laut Studie generell wenig Anbindung verspüren und die Kirchensteuer als Austrittsgrund nennen, treten Menschen über 40 eher aus Ärger über die Kirche aus, etwa wegen der Skandale um sexuellen Missbrauch oder das Engagement der EKD bei der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer oder auch persönliche negative Erlebnisse mit kirchlichen Mitarbeitenden.

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