Kirchenasyl:Nächstenliebe mit Brief und Siegel

Hartung

Pfarrer Christian Hartung siegte vor Gericht.

(Foto: privat)

Ein Pfarrer im Hunsrück gibt Flüchtlingen Kirchenasyl - doch er hat sich abgesichert.

Von Susanne Höll, Kirchberg

Wäre Christian Hartung ein überschwänglicher Mensch, würde er die jüngsten Ereignisse auch um seine Person womöglich als eine Art Ostergeschenk werten. Aber der hochgewachsene Mann neigt nicht zu Gefühlswallungen, die jüngste Entscheidung des Landgerichts Bad Kreuznach war gleichwohl erleichternd. Kurz vor Beginn der Karwoche kamen die Richter zu dem Schluss, dass sich der evangelische Pfarrer aus dem Hunsrück und vier seiner Kollegen und Kolleginnen in einem spektakulären Fall von Kirchenasyl nicht illegal verhalten hätten.

Ein öffentlich umstrittener Durchsuchungsbeschluss für die Räume der Geistlichen wurde nachträglich aufgehoben. Hartung geht davon aus, dass auch die noch laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ein Ende haben werden. "Ich verstehe den Beschluss des Landgerichts als Bestätigung, dass wir uns nicht strafbar gemacht haben", sagt der Theologe, Jahrgang 1963, aus dem Städtchen Kirchberg in Rheinland-Pfalz.

Er selbst war, wie er sagt, immer zuversichtlich, dass er und die übrigen Pfarrer nicht juristisch belangt werden würden, weil sie drei von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen aus dem Sudan 2018 in Gemeinderäumen Obdach gewährt hatten. Die Ermittlungen hatte der Landrat des Rhein-Hunsrück-Kreises, Marlon Bröhr (CDU), im Sommer 2018 ausgelöst. Nach einem gescheiterten Plan, einen der Sudanesen mit Hilfe der Polizei aus dem Asyl in Kirchberg zu holen, hatte er Anzeige gegen die Pfarrer und die Flüchtlinge erstattet. Im Januar ließ die Staatsanwaltschaft Bad Kreuznach Privat- und Diensträume der Pfarrer durchsuchen, Unterlagen wurden beschlagnahmt. Das Kirchenasyl war damals schon beendet. Einen Aktenordner hat die Staatsanwaltschaft zurückgeschickt, er liegt vor Hartung auf dem Tisch in der Bibliothek der Friedenskirche. Noch fehlen ihm die beschlagnahmten Daten aus seinem Computer zum Fall der drei Sudanesen.

Sie stammen allesamt aus der Bürgerkriegsregion Darfur, flüchteten nach Italien, wo sie auf der Straße leben mussten. Sie schlugen sich nach Deutschland durch, ihre Asylanträge wurden abgelehnt, sie sollten nach Italien zurück, wo ihnen vermutlich wieder Obdachlosigkeit gedroht hätte. Einer von ihnen leidet unter einer verkapselten Tuberkulose und Nierenproblemen. Mit medizinischer Versorgung in Deutschland sei das kein Problem, sagt der Pfarrer, wohl aber bei einem neuerlichen Leben auf der Straße.

Hartung ist sich der rechtlichen Grauzone rund um das Kirchenasyl bewusst. Es gibt dazu keine gesetzliche Regelung, wohl aber Vereinbarungen zwischen Kirchen und den staatlichen Behörden. In Rheinland-Pfalz gehört dazu auch eine Absprache der meisten im Landtag vertretenen Parteien, Aktionen der Ordnungskräfte gegen Flüchtlinge in kirchlicher Obhut zu vermeiden. Deshalb hatte Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) vergangenen Sommer die Bitte von Landrat Bröhr nach einem Polizeieinsatz abgelehnt.

"Kirchenasyl wird, wenn überhaupt, dann nur in begründeten Ausnahmesituationen gewährt", sagt Hartung. Wenn es einen Weg gegeben hätte, die Sudanesen in Italien bei angemessener Versorgung sicher unterzubringen, hätte man das Kirchenasyl gar nicht gewähren müssen, meint er. Ein Versuch, sie in die Obhut von Mitgliedern der protestantischen Waldenserkirche in Italien zu geben, war zwischenzeitlich gescheitert.

Die Entscheidung, den drei jungen Männern Zuflucht zu gewähren, traf Pfarrer Hartung nicht allein, sondern mit dem Presbyterium, dem Leitungsgremium der Kirchengemeinde. Sie hatten auch stets die Unterstützung ihrer Landeskirche. Der Pastor legt Wert auf die Feststellung, dass niemand jemals Rechtsbrüche habe begehen wollen. "Wir haben alles den Behörden gemeldet und fristgerecht das Härtefalldossier eingereicht, wie es den politischen Vereinbarungen entspricht. Und wir haben (der Kreisverwaltung) mehrfach Gespräche angeboten", sagt er.

Und was geschieht bei einer neuerlichen Bitte um Kirchenasyl? "Wir würden eine neue Anfrage genau prüfen, wie bisher ja auch. Und dann müssen wir überlegen, wie wir überhaupt helfen können. Uns geht es um die konkrete persönliche Hilfe, nicht darum, aus Prinzip Kirchenasyl zu gewähren." Hartung ist, wie etliche andere Vertreter von Kirchen und Organisationen überzeugt, dass die Bedingungen für Kirchenasyl schwieriger geworden sind.

Ob er und seine Mitstreiter den Sudanesen tatsächlich hatten helfen können, das wird der Pfarrer erst nach dem Abschluss ihrer Asylverfahren wissen. War ihm je bange in den vergangenen Monaten? Nicht wirklich, sagt er. "Ich konnte die ganze Angelegenheit gut wegstecken. Was hätte mir im schlimmsten Fall passieren können?" Und er fügt hinzu: "Aber für die Geflüchteten geht es um Leben und Tod."

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