Kirchen:Neue Glaubwürdigkeit

Die Kirchen verlieren weiter Mitglieder, doch gerade bietet sich die beste Gelegenheit für die Pflege ihres Markenkerns. Das Engagement für Geflüchtete ist ein Praxistest für die Botschaft der Nächstenliebe. Doch es birgt auch neue Konflikte mit der Politik - vor allem mit den Unionsparteien.

Von Oliver Das Gupta

Ja, die Kirchen haben Fehler gemacht und stehen deretwegen zu Recht in der Kritik. Im Zentrum der Enttäuschung stehen die vielen Missbrauchsfälle aller Art. Lange wurden sie vertuscht oder nur halbherzig aufgearbeitet. Auch deshalb entscheiden sich viele Mitglieder für den Austritt. 2017 verloren die Kirchen 660 000 Mitglieder, allerdings auch, weil viele verstorben sind. Gleichzeitig verzeichnen sie bemerkenswert viele Neueintritte. Das liegt auch daran, dass die Kirchen in jüngster Zeit ihren Markenkern gepflegt haben. Nun, da verstärkt über Mitleid und Barmherzigkeit diskutiert wird.

Jesu Botschaft von der Nächstenliebe wirkte oft vernachlässigt und ignoriert, die Kirchengeschichte ist reich an Heuchelei. Allerdings gab es kaum eine Zeit, in der die großen Kirchen in Deutschland die Werte des Evangeliums offensiver vertreten haben als in der Gegenwart. Der Umgang mit Flüchtlingen erweist sich als großer Praxistest. Schon bevor 2015 das Gros der Migranten ankam, packten Pfarreien und kirchliche Einrichtungen mit an, gaben entwurzelten Menschen ein Dach über dem Kopf und Halt. In Zeiten, in denen Flüchtlinge auch in Krisengebiete wie Afghanistan abgeschoben werden, ist das Kirchenasyl für manche letzte Zuflucht.

In diesem Praxistest geraten die Kirchen in Konflikte, nicht zuletzt mit der Politik der Union. In den ersten Nachkriegsjahrzehnten passte kaum ein Blatt zwischen CDU/CSU und die Kirchen. Gewollt war das von beiden Seiten. Diese Nähe ist zerrüttet, nur in Bayern schien es noch lange ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass gläubige Christen kaum eine andere politische Heimat als die CSU kannten. Die vergangenen Monate aber haben gezeigt, dass auch im Freistaat dieses Gesetz nicht mehr gilt. Die Kirchen wehren sich gegen die Vereinnahmung, die CSU entfremdet sich zusehends von der christlichen Botschaft. Am Umgang mit Flüchtlingen manifestiert sich, wie groß der Spalt zwischen Kirchen und Union geworden ist. Schon als Horst Seehofer bayerischer Ministerpräsident war, krachte es mitunter, wenn die Kirchen einen humaneren Umgang mit Geflüchteten anmahnten. Unter Seehofers Nachfolger wuchs die Distanz: Geistliche empörten sich, als Markus Söder als politischen Kniff im Wahljahr Kreuze in Behörden aufhängen ließ.

Das Engagement für Geflüchtete ist ein Praxistest - er birgt auch Konflikte

Die Kirchen sind dabei, sich zu emanzipieren. Eindrucksvoll zeigt sich das in der jüngsten Kritik, die der evangelische Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und der Münchner Kardinal Reinhard Marx am Rechtsdrall der CSU üben. Auf den unteren Ebenen positionieren sich schon lange Pfarrerinnen und Pfarrer gegen ausländerfeindliche Tendenzen. Dafür sehen sich die Geistlichen mitunter üblen Anfeindungen ausgesetzt. Diese klare Kante verschafft den Kirchen neue Glaubwürdigkeit, sie sind auf dem richtigen Weg. Aber die Strecke, die bisher zurückgelegt wurde, reicht nicht. Die Mitgliedszahlen werden weiter sinken, wenn es den Kirchen nicht gelingt, ihre Relevanz und Funktion für Kopf und Herz schlüssig zu begründen. Dazu gehört auch der faire Umgang mit den Menschen, die in kirchlichen Institutionen arbeiten. Die Kirchen sollten sich auch um sie bemühen, sind sie doch in einer besonderen Spannungslage: In einer säkularen Gesellschaft muss man nicht mehr Mitglied einer Religionsgemeinschaft sein, um Menschen in Not zu helfen.

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