Kirche:Verspätete Aufarbeitung

Johannes-Wilhelm Rörig

Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.

(Foto: Gregor Fischer/dpa)

Die evangelische Kirche hinkt bisher bei einheitlichen Standards beim Umgang mit sexualisierter Gewalt hinterher. Doch nun kommt allmählich Bewegung in die Sache.

Von Annette Zoch

"Historisch" hatte der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, die mit der katholischen Kirche verabredeten Standards zur Missbrauchsaufarbeitung im April genannt. Bei der evangelischen Kirche lassen solche verbindlichen und gemeinsamen Standards allerdings noch immer auf sich warten. Nach einem Bericht des Spiegel soll Rörig der EKD deshalb zwischenzeitlich sogar mit einem Abbruch der Gespräche gedroht haben.

Am Sonntag spricht Rörig im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung indes von "Missverständnissen": "Ich habe keinen Druck auf die evangelische Kirche ausgeübt, sondern freundlich nachgefragt. Ich habe - nachdem wir mit der katholischen Kirche gemeinsame Standards ausgearbeitet hatten - natürlich auch bei der EKD nachgehakt."

Dort habe man sich aber zunächst auf eine wissenschaftliche Studie zur Aufarbeitung konzentrieren wollen: 3,6 Millionen Euro soll das Projekt kosten, ein unabhängiger Forscherverbund soll sie durchführen. "Mein Standpunkt ist: Eine Studie ersetzt nicht die Kriterien zur Aufarbeitung", so Rörig. "Ich habe gesagt: Wenn es zunächst nicht um Standards geht, müssen wir die Gespräche bis auf weiteres nicht fortsetzen. Unsere Tür steht aber jederzeit offen."

Der von der zuständigen Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs geleitete EKD-Beauftragtenrat hat inzwischen zugesichert, bis Ende September den Entwurf für eine gemeinsame Vereinbarung zu Aufarbeitungsstandards zu präsentieren. Die EKD hatte zwar schon Ende 2018 auf einer Synode angekündigt, verbindliche Standards für die unabhängige Aufarbeitung sexualisierter Gewalt festzulegen. Passiert war aber lange nichts. Ebenfalls 2018 veröffentlichte die katholische Kirche bereits eine Studie zum sexuellen Missbrauch in ihren Reihen - die sogenannte MHG-Studie.

Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt geschehe in enger Absprache zwischen der EKD und dem Missbrauchsbeauftragten, sagte eine EKD-Sprecherin am Sonntag. "Die Überlegungen zu strukturellen Neuerungen erfordern Sorgfalt und Zeit, denn sie müssen in das bestehende System von Aufarbeitung, Prävention und Intervention mit seinen landeskirchlich verantworteten Unabhängigen Kommissionen, Melde- und Ansprechstellen integriert werden." In allen 20 Landeskirchen gibt es der EKD zufolge bereits Unabhängige Kommissionen oder Unterstützungsleistungskommissionen. Teilweise haben sich kleinere Landeskirchen auch zusammengeschlossen.

Verspätung meldet die EKD auch beim Betroffenenbeirat, der sich längst hatte finden sollen. Doch zunächst hatten sich nicht genug Teilnehmer beworben, sagte Bischöfin Kirsten Fehrs. Nachdem die Bewerbungsfrist noch mal bis Ende März verlängert worden war, waren zwar genug Teilnehmer gefunden - aber dann kam die Corona-Pandemie dazwischen.

Bald soll sich der Rat erstmals treffen. Zum 1. Juli 2019 hatte die EKD außerdem eine zentrale Anlaufstelle für Opfer gestartet. Bis Ende Juni hatten sich Fehrs zufolge rund 785 Menschen gemeldet, die angaben, in der Kirche oder Einrichtungen der Diakonie missbraucht worden zu sein. Das Dunkelfeld sei vermutlich noch größer, so Fehrs.

Erst vergangene Woche hatte die hannoversche Landeskirche gemeinsam mit einer Betroffenen den Fall von Jörg D. öffentlich gemacht. Der inzwischen verstorbene Pastor hatte in den 1980er- und 90er-Jahren in Nenndorf bei Hamburg eine Konfirmandin sexuell belästigt. Nachdem der Fall öffentlich wurde, meldeten sich weitere Opfer.

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