Süddeutsche Zeitung

Kirche und Politik:Kampf um die Zukunft

Der Papst tritt ab, und vor allem aus Deutschland erhält die katholische Kirche viele Ratschläge. Ein wirklich politischer Faktor ist sie hierzulande aber nicht mehr. Wenn die Kirche sich als Machtapparat, Selbstzweck und Lehrmeinungserhaltungsmaschine versteht, wird ihre Bedeutung weiter abnehmen. Zukunft hat sie trotzdem. Doch dies setzt Erneuerung voraus.

Ein Kommentar von Kurt Kister

Der Papst geht, und keiner weiß, was nach ihm kommt. Dabei ist es erstaunlich, wie viele Ratschläge die katholische Kirche allein aus Deutschland erhält - und das besonders von Menschen, die oft selbst keine Katholiken und manchmal nicht einmal Christen sind. Hierzulande ist die Neigung, anderen zu sagen, was sie tun sollen, nun einmal besonders groß. Das ist wohl, wenn es so etwas gibt, typisch deutsch.

Man weiß das nicht erst seit Emanuel Geibel, der 1861 sein Gedicht "Deutschlands Beruf" schrieb, dessen letzte Zeilen Karriere gemacht haben: "Und es mag am deutschen Wesen / einmal noch die Welt genesen." Geibels Gedicht war ein Aufruf dazu, dass die deutschen Länder und Territorien zwar nicht ihre Identität, aber doch die Kleinstaaterei aufgeben sollten. Geibel propagierte die Reichseinigung unter einem Kaiser. Das würde nicht nur die Deutschen vor den Franzosen schützen, sondern auch noch vor einer anderen Macht: "Dann vergeblich seine Netze / wirft der Fischer aus in Rom."

Das waren noch Zeiten. Der Fischer in Rom, also der Papst, galt dem nationalen, protestantischen Lager in Berlin als gefährlicher politischer Feind. Die Preußen fürchteten die Strippenzieher im Vatikan, die über ihr zentralistisch gelenktes Netz kirchlicher Würdenträger Kultur und Politik in Deutschland beeinflussen wollten. Besonders stark war die katholische Kirche in den ohnehin antipreußischen südlichen und westlichen Gefilden, im Rheinland und in Österreich, aber auch in Bayern, diesem ultramontanen, also nach jenseits der Alpen hin auf Rom ausgerichteten Königreich.

Kampf um den Status quo

Seitdem ist viel passiert. Preußen ist verschwunden, nicht zuletzt weil die Welt fast am deutschen Wesen krepiert wäre. Zwar hat die protestantische Kirche trotz des Widerstands einer Minderheit den deutschen Nationalrausch zwischen 1914 und 1945 bereitwilliger mitgemacht, als dies die Katholiken getan haben. Aber selbst in Bayern beschränkt sich das Ultramontane heute weitgehend auf Skifahren in Südtirol oder Ferien in der Toskana.

Ein wirklich politischer Faktor ist die katholische Kirche hierzulande nicht mehr, auch wenn sie es im Weltmaßstab noch sein mag. In Europa hat der Katholizismus als politisch-gesellschaftliche Kraft gerade mal noch in den romanischen Ländern sowie in Polen und Irland einige Bedeutung; in anderen Landstrichen der EU gehören mancherorts Priester allmählich zum überlieferten Volksbrauchtum wie Trachten. Kirchen werden als Bauwerke besichtigt, aber nicht mehr als Stätten des Gottesdienstes besucht. Zwar forschen viele Menschen nach dem Sinn des Lebens; immer weniger aber finden ihn in der Kirche.

Gerade in Deutschland ficht der Katholizismus gesellschaftlich, aber auch in Glaubensdingen nur noch einen Kampf um den Status quo. Als Träger sozialer Einrichtungen ist die Kirche noch anerkannt, einerseits. Andererseits werden "katholische" Anforderungen an die Angestellten dieser Einrichtungen häufig als anachronistisch und manchmal als ausgesprochen reaktionär gesehen.

Wie schwierig die Defensive geworden ist, kann man an einem durchschnittlichen Sonntag im Gottesdienst erkennen, auch und gerade im einst so katholischen Bayern: Die Kirche ist höchstens zu einem Viertel gefüllt, die Kirchgänger sind überwiegend im Rentenalter.

In der Organisation der Republik ist manches noch auf eine Bedeutung der katholischen - und auch der evangelischen - Kirche abgestellt, welche die Kirchen heute nicht mehr haben. Zwar bleibt politischer Einfluss der Kirchen im Konsens- und Gremienstaat Bundesrepublik erhalten; in vielen Beiräten und Aufsichtsgremien sitzen ihre Vertreter an der Seite von Gewerkschaftern oder organisierten Landwirten und Lehrern. Die katholische Kirche gehört zu den, wie es so schön heißt, "gesellschaftlich relevanten Gruppen", was einerseits ihre Beheimatung im demokratischen Staat anerkennt und andererseits eine Sonderstellung negiert.

Die politische Durchsetzungskraft der Kirchen ist heute viel geringer als noch vor 30 Jahren. CDU und CSU berufen sich zwar auf ihre christlichen Traditionen, die aber in der Tagespolitik nur dann eine Rolle spielen, wenn dies als opportun erscheint. Generell bemühen sich die Parteien mit Ausnahme der Linken wenig zu tun, was sich offen gegen "die" Kirche oder kirchliche Lehrmeinungen richtet. Dies allerdings geschieht weniger aus Ehrfurcht vor der Institution Kirche als vielmehr aus Sorge darum, dass man christlich geprägte Wähler verprellen könnte. Da wo die Mehrheit anders zu denken scheint als die (katholische) Kirche, gerät die Kirche ins Hintertreffen. Man denke nur an das Abtreibungsrecht oder die Gleichstellung von Homosexuellen.

Übrigens: Gründete sich heute eine politische Partei, die sich konservativen Werten verpflichtet fühlte, sie würde nicht mehr das Wort "christlich" in ihren Namen aufnehmen - schon allein weil dies als ausschließend empfunden würde. Selbst die CSU würde sich wohl eher BSU nennen, Bayerische Soziale Union.

Man lese nur die Jesus-Bücher von Joseph Ratzinger

Das eklatanteste Beispiel für eine Verknüpfung von Staat und Kirche, die aus überkommener Zeit herrührt, ist die staatliche Einziehung der Kirchensteuer. Sie ist ein Residuum aus jener Ära, in der die allermeisten Deutschen Christen waren und der Staat dies durch Konkordate beziehungsweise Kirchenverträge anerkannte und billigte. So sorgt der Staat bis heute für ein auskömmliches Einkommen der Kirchen in Deutschland. Viele Bürger wiederum scheuen sich, aus der Kirche auszutreten, auch wenn dies der einzige Weg ist, der Kirchensteuer zu entgehen. Das Konkordat also garantiert auch, dass katholische Karteileichen ihren Obolus abführen, als wären sie fröhliche und gläubige Kirchgänger.

Nein, der Kirche soll keineswegs ihre Bedeutung für den Einzelnen und das Ganze abgesprochen werden. Der Glaube, auf dem sie fußt, bleibt auch im 21. Jahrhundert mächtig - nicht im politischen Sinne, wohl aber als fester Boden, auf dem viele Menschen stehen und leben. Christentum ist die Ehrfurcht vor Gott und das Bekümmern und Mitfühlen um die und mit den Menschen. Wenn die Kirche sich als Machtapparat, Selbstzweck und Lehrmeinungserhaltungsmaschine versteht, wird ihre Bedeutung, politisch wie gesellschaftlich, weiter abnehmen. Aber sie hat Zukunft, wenn sie das bleibt, was im Credo mit einem altertümlichen Begriff "die Gemeinschaft der Heiligen" genannt wird, also der Gläubigen, die christlich denken und leben. Dies setzt Erneuerung voraus, auch vom Vatikan aus. Selbst Jesus war zu seiner Zeit revolutionär - man lese nur die Jesus-Bücher von Joseph Ratzinger.

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SZ vom 16.02.2013/fzg
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