Kirche, Papst und die Kondome:14 Zeilen, eine Hoffnung

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Mit den Äußerungen zum Kondom-Gebrauch nähert sich Papst Benedikt XVI. den Gläubigen seiner Kirche. Doch wer darin eine Sensation sieht, muss sehr tief in den Hirnwindungen vatikanischen Denkens leben.

Matthias Drobinski

Die wahre Sensation, wenn es um die katholische Kirche und die Kondome geht, wäre fast vor vier Jahren geschehen. Im November 2006 übergab Kardinal Javier Lozano Barragán, der Präsident des Päpstlichen Rates für die Krankenpastoral, der Glaubenskongregation und Papst Benedikt XVI. ein Gutachten darüber, wie sich die katholische Kirche im Kampf gegen die Immunschwäche-Krankheit Aids verhalten sollte.

Keine Wende in Sachen Heiliger Stuhl und Empfängnisverhütung: der Pontifex am Wochenende im Petersdom (Foto: AP)

Und dort stand unter anderem: Wenn in einer Ehe einer der Partner mit dem HI-Virus infiziert ist, dann sollte die Kirche es nicht mehr für unmoralisch halten, wenn dieses Paar beim Sex Kondome benutzt. Eine naheliegende, eine menschliche Empfehlung war das. Doch die Glaubenskongregation befand: Der Geschlechtsakt eines Ehepaares muss offen sein für die Zeugung eines Kindes. Hat einer der Partner Aids, muss das Paar eben enthaltsam leben, basta.

Die Sensation blieb aus.

Nun also soll sie da sein, die Sensation, in jenem Interview, das Papst Benedikt XVI. dem Journalisten Peter Seewald gegeben hat. 14 Zeilen umfasst die Sensation, und sie klingt so: In dem "einen oder anderen Fall" könne "in der Absicht, Ansteckungsgefahr zu verringern", das Kondom "ein erster Schritt sein auf dem Weg hin zu einer anders gelebten, menschlicheren Sexualität".

Die Sensation also lautet: In wenigen Ausnahmefällen - bei homosexueller Prostitution zum Beispiel -, wo die Fortpflanzung ausgeschlossen ist, die Gefahr der Ansteckung mit HIV aber hoch, kann ein Kondom ein erster Schritt sein, um zu einer verantworteten Sexualität zu kommen. Worin die liegt, führt der Papst an dieser Stelle nicht aus.

Wie fern ist das von dem, was vor vier Jahren Kardinal Barragan vorschlug. Der Papst redet nicht von aidsinfizierten Paaren. Er redet schon gar nicht von den Abermillionen Katholiken, die mit Hilfe künstlicher Verhütung darüber entscheiden, ob sie ein Kind wollen oder nicht. Für sie gilt nach wie vor das Verdikt der "Pillen-Enzyklika" Humanae Vitae von 1968.

Moralisch gerechtfertigt ist für die katholische Kirche demnach nur jener Sex, der innerhalb der Ehe stattfindet und der offen ist für die Entstehung neuen Lebens. Die Fälle, von denen der Papst redet, wirken wie fürs Ethik-Seminar an der Uni konstruiert. Dass er überhaupt darüber redet, ist durchaus eine Überraschung.

Wer aber darin eine Sensation sieht oder gar eine Wende, muss sehr tief in den Hirnwindungen vatikanischen Denkens leben.

Und doch liegt in diesen 14 Zeilen eine Chance. Der Druck ist da, dass die katholische Kirche nun ernsthaft und intensiv darüber diskutiert, warum die Mehrheit ihrer Gläubigen jene künstlichen Verhütungsmittel nutzt, die die kirchliche Lehre bislang strikt abgelehnt hat. Und darüber, was diese "menschlichere Sexualität" ist, von der der Papst da redet - und die ja tatsächlich ein Lebensthema der Menschen ist wie kaum ein zweites.

Es ist ein Schimmer, ein Streifen Hoffnung. Mehr nicht.

© SZ vom 22.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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