Katholische Kirche:Kardinal George Pell gestorben

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George Pell 2008 bei einer Messe in Sydney. (Foto: Paul Miller/Imago/AAP)

Trotz Freispruchs steht der Name des Australiers wie kaum ein anderer für Vertuschung und Versagen bei der Aufarbeitung von Kindesmissbrauch.

Von Jan Bielicki

Der Kardinal starb als freier Mann. Das war nicht selbstverständlich. 405 Tage hat George Pell in einem australischen Gefängnis verbracht, von einem Geschworenengericht für schuldig befunden, als Erzbischof von Melbourne 2001 zwei Messdiener sexuell missbraucht zu haben. Doch Australiens oberster Gerichtshof hat ihn 2020 dann einstimmig freigesprochen mit der Begründung, die Vorinstanzen hätten die Aussagen von Entlastungszeugen nicht angemessen gewürdigt.

Pell konnte nach Rom zurückkehren, in seine Wohnung in der Nähe des Vatikan, in dem er vor seinem tiefen Fall eine Karriere gemacht hatte wie kein Australier vor ihm. Und in Rom ist George Pell am Dienstagabend nach einer Hüft-Operation mit 81 Jahren gestorben, nur wenige Tage, nachdem er an der Beisetzung des ihm eng verbundenen Papstes Benedikt teilgenommen hatte.

Pell 2019 vor dem Gebäude des Supreme Court in Melbourne. (Foto: Erik Anderson/Imago/AAP)

Der großgewachsene Mann von down under, der als Teenager erstklassig den harten Australian Rules Football gespielt hatte, war eine Macht im Vatikan. Bevor ihn 2017 die Anklage aus der Heimat ereilte, amtierte er als Präfekt des Wirtschaftssekretariats, eine Art Finanzminister von Papst Franziskus, und galt als Nummer drei der Kurie. Aber sein Name steht trotz des Freispruchs weltweit wie kaum ein anderer für die Missbrauchsverbrechen katholischer Priester - und für das Versagen der Kirchenhierarchien bei deren Aufarbeitung, für Verschweigen und Vertuschen.

Es gibt ein Foto, das Pell bei seinem Aufstieg immer verfolgte. Es zeigt ihn, wie er 1993 als Weihbischof in Melbourne den Priester Gerald Ridsdale zu dessen Gerichtsprozess begleitet. Ridsdale war mal Pells Mitbewohner gewesen - und sitzt bis heute im Gefängnis, weil er über Jahre hinweg Dutzende Kinder vergewaltigt hat. Seine kirchlichen Vorgesetzten hatten ihn nach Vorwürfen immer nur versetzt und nie der Polizei gemeldet.

Als Fehler, begangen als Akt "priesterlicher Solidarität", hat Pell später seine Begleitung des pädophilen Verbrechers entschuldigt und behauptet, nicht frühzeitig von dessen Taten gewusst zu haben. Eine unabhängige Kommission, die im Auftrag des Parlaments von 2012 bis 2017 den Missbrauch von Kindern und dessen Aufarbeitung in kirchlichen und anderen Institutionen umfassend untersuchte, glaubte diesen Beteuerungen nicht. Ihr Bericht hielt fest, dass Pell als Bischofsvikar in seiner Heimatstadt Ballarat sehr wohl davon Kenntnis gehabt haben musste und Mitglied einer Diözesanleitung war, deren "katastrophales Führungsversagen" für "irreparablen Schaden" bei vielen ihnen anvertrauten Kindern verantwortlich sei.

Dass der Kardinal das Wohl der Kirche vor das Wohl der Kinder stellte, hat ihm nicht geschadet

Als Erzbischof ließ Pell 1996 eine "Melbourner Antwort" auf den immer drängenderen Missbrauchsskandal entwickeln, die den Opfern Entschädigungen zubilligte, allerdings gedeckelt und mit Knebelklauseln verbunden. Dass der Kardinal das Wohl seiner Kirche vor das Wohl der Kinder stellte, hat seiner Karriere nicht geschadet, im Gegenteil. Er wurde Erzbischof im größeren Sydney, gehörte als Mitglied der Glaubenskongregation im Vatikan bald zu den engsten Beratern Joseph Ratzingers und galt in dem Konklave, das den Deutschen 2005 zum Papst wählte, als dessen inoffizieller Wahlkampfmanager. Ganz nach oben in die Kurienspitze berief ihn aber erst Papst Franziskus.

"Er ist ein großer Mann und wir verdanken ihm viel", hatte Franziskus Pell vor einem Jahr gelobt und die Vorwürfe gegen den Australier als "Verleumdung" bezeichnet. Posthum würdigte der Papst nun dessen "beständiges und engagiertes Zeugnis". In Australien spaltet der erzkonservative Kardinal auch nach seinem Tod die Meinungen. Pell habe eine "moderne Form der Kreuzigung" erlitten und sei ein "Heiliger für unsere Zeiten", pries der frühere konservative Premier Tony Abbott den Verstorbenen. Die Beileidsbekundung des jetzigen Labor-Premierministers Anthony Albanese, selbst katholisch erzogen, fiel deutlich kühler aus: "Für viele Leute, besonders katholischen Glaubens, wird das ein schwieriger Tag sein."

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