Kirche:Der Patriarch stellt sich quer

In der neu gegründeten Ukrainischen Orthodoxen Kirche tobt ein Machtkampf. Schuld ist ein 90-Jähriger, der die Kontrolle über Tausende Kirchen, Klöster und Konten nicht abgeben will.

Von Florian Hassel, Warschau

Es waren Tage des Stolzes für neun Millionen orthodoxe Gläubige in der Ukraine, als sie nach über drei Jahrhunderten Abhängigkeit von Moskau endlich eine eigenständige Kirche bekamen. Mitte Dezember erklärten ukrainische Bischöfe ihre Vereinigung zur Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) und wählten den 40 Jahre alten Epiphanius zum Oberhaupt der neuen Kirche. Der bisherige Kirchenfürst Filaret wurde Ehrenpatriarch und Aufseher über Kiew und Umgebung. Feierlich übergab Patriarch Bartholäus, das in Konstantinopel (Istanbul) residierende faktische Oberhaupt der weltweit 14 orthodoxen Kirchen, den Ukrainern am 6. Januar den Tomos, eine Art kirchliche Unabhängigkeitserklärung.

Doch nur wenige Monate später tobt ein erbitterter Kampf in der neuen Kirche, der auch die ukrainische Regierung und die Gerichte beschäftigt. Denn Filaret, der 90 Jahre alte Kirchenfürst, will zurück an die Macht; es geht auch um Grundbesitz und Geld. Filaret ist Macht gewohnt, seit er 1966 von Moskau zum geistigen Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche in der damals zur Sowjetunion gehörenden Ukraine ernannt wurde. Auch dem KGB arbeitete Filaret zu. Als die Ukraine 1991 unabhängig wurde, spaltete sich Filaret mit anderen Gläubigen zur "Ukrainschen Orthodoxen Kirche - Kiewer Patriarchat" (UOK-KP) ab. Dafür wurde er sowohl von Moskau wie vom Patriarchen in Konstantinopel aus der Kirche ausgeschlossen.

Eine Wiederannäherung an Konstantinopel, die Anerkennung einer eigenständigen ukrainischen orthodoxen Kirche gar, all das war dem Kiewer Kirchenkenner Oleksandr Sagan zufolge schon 2007 möglich- doch nur ohne Filaret. Der machtbewusste Autokrat hatte es sich mit seiner Einmischung in anderen Ländern nicht nur mit dem Patriarchen in Konstantinopel verdorben. "Filarets Person ist für viele ausländische orthodoxe Kirchen toxisch", erklärte Sagan der Kyiv Post.

Filaret ist Macht gewohnt, seit er 1966 von Moskau zum Oberhaupt der Kirche ernannt wurde

Als Anfang 2018 der damalige Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, in Konstantinopel die Chancen für eine eigenständige ukrainische Kirche auslotete, stellte Patriarch Bartholomäus eine Bedingung: Filaret müsse abtreten. Ende 2018 verzichtete Filaret in einem Brief an Bartholomäus offiziell darauf, die neue Kirche zu führen. Er nahm auch an der Versammlung teil, auf der sich die bisher von ihm geführte UOK-KP und die 1919 im Untergrund gegründete UAOK am 15. Dezember zur Ukrainischen Orthodoxen Kirche (UOK) vereinigten und Filarets kirchlichen Ziehsohn Epiphanius zum neuen Metropoliten und Oberhaupt der neuen Kirche wählten.

Doch als Filaret tatsächlich die Macht und die Kontrolle über Tausende Kirchen, Klöster und Konten abgeben sollte, besann er sich um - und erklärte, er sei nach wie vor Patriarch. Am 20. Juni lud Filaret seine Gefolgsleute nach Kiew ein und erklärte, sowohl Ex-Präsident Poroscheko wie Epiphanius hätten ihn getäuscht und versprochen, er werde die Kirche weiterhin führen. Dann gab er seine Abtrennung von der UOK und die Auferstehung der früher von ihm geführten UOK-KP bekannt.

Als Antwort erklärten Epiphanius und andere Erzbischöfe der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, Filaret behalte seinen Ehrentitel, aber verliere alle Vollmachten über Kirchen und Klöster in Kiew und Umgebung. Die Unterstützung für Filaret ist gering: Am 20. Juni kamen nur zwei Bischöfe zu seinem Treffen - sie wurden daraufhin von Epiphanius abgesetzt; zwei von Filaret kirchenrechtswidrig ernannte Bischöfe wurden aus der Kirche ausgeschlossen.

Filarets endgültige Entmachung ist Spezialisten zufolge nötig, damit die UOK von anderen orthodoxen Kirchen weltweit anerkannt wird - und damit sich ihr auch in der Ukraine mehr Gemeinden anschließen. Denn auch nach Gründung der Ukrainischen Orthodoxen Kirche besteht in der Ukraine die Moskau folgende "Ukrainische Orthoxe Kirche des Moskauer Patriarchats" (UOK-MP) fort. Die erkennen Umfragen zufolge zwar nur noch 13 Prozent der Ukrainer an - auch, weil die UOK-MP Moskaus Krieg in der Ostukraine mitträgt. Gleichwohl unterstanden ihr Ende 2018 noch gut 12 000 Gemeinden und Klöster - doppelt so viel wie der neuen UOK. Seitdem gut 500 Gemeinden und Klöster zur UOK über. "Viele wollten nicht unter Filarets Kontrolle kommen", so Experte Sagan in der Kyiv Post.

Noch aber gibt Filaret nicht auf. Laut dem Theologen Nicholas Denisenko kontrolliert Filaret nach wie vor die meisten Kirchenkonten. Das Kulturministerium bestätigte zwar, die alte, von Filaret geführte UOK-KP sei Ende 2018 - wie von Filaret selbst beantragt - juristisch erloschen. Doch in manchen staatlichen Registern existiert die alte Kirche noch: Das nutzt der alte Kirchenfürst jetzt zum Angriff vor einem der notorisch korrupten Gerichte: Ein Kiewer Verwaltungsgericht ließ kürzlich eine Klage der aufgelösten Kirche zu, derzufolge die neue Kirche und ihre Kiewer Unterabteilungen illegal vom Staat registriert worden seien - und nur Filarets Kirche die einzig wahre sei.

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