Es war sicher Zufall, dass just an dem Tag, da der britische Premier David Cameron seine viel diskutierte Rede zum Thema Einwanderung hielt, ein ganz bestimmter Film in London seine Premiere feierte - "Paddington", eine Adaption der Kinderbuchfigur aus dem Jahr 1958. Damals schrieb Michael Bond über den kleinen Bären. Im Film von Regisseur und Drehbuchautor Paul King wird Paddington nach einem Erdbeben in seiner Heimat Peru von seiner Tante nach London geschickt. Dort liest ihn die Familie Brown am gleichnamigen Bahnhof ("Paddington Station") auf und nimmt ihn zu sich.
In der britischen Hauptstadt durchlebt der Bär Paddington die Höhen und Tiefen des Migrantendaseins. Schnell entwickelt der Tollpatsch zum Beispiel eine Vorliebe für die englische marmalade, einen Brotaufstrich aus Bitterorangen. Doch er muss sich auch Vorurteile anhören. Mr. Brown wirft Einwanderern vor, rührselige Geschichten zu erfinden, um mehr Geld beim Betteln abzustauben. Der Nachbar der Browns, Mr. Curry, prophezeit wegen des neuen Mitbewohners aus Südamerika schon eine Lärmbelästigung durch "Dschungel-Musik". Die Tierpräparatorin Millicent (gespielt von Nicole Kidman) lässt sich gar zu der Äußerung hinreißen: "Es fängt mit einem Bären an, und bald ist die ganze Straße voll mit ihnen."
Der getriebene David Cameron
Es ist zwar immer noch ein Film, und es geht um einen Bären. Aber man braucht nicht viel Phantasie, um einen Zusammenhang mit der aktuellen Einwanderungsdiskussion in Großbritannien zu sehen. Cameron, der sich in einem halben Jahr den Wählern stellen muss, forderte, dass EU-Einwanderer in Zukunft vier Jahre lang keinen Anspruch auf eine Sozialwohnung oder Kindergeld haben sollten. Wer nach sechs Monaten keine Arbeit gefunden habe, solle das Land wieder verlassen. Zum anderen lobte er aber auch die Leistung der Einwanderer. Er sei stolz, dass "wir eine erfolgreiche, multiethnische Demokratie geschaffen haben", sagte er.
Cameron muss den rechten Rand seiner Tories besänftigen und will verhindern, dass ihm weitere Wähler an die Ukip verlorengehen. Er ist ein Getriebener. Zwei Nachwahlen hat die rechtspopulistische Partei von Nigel Farage bereits gegen die Tories gewonnen. Die Ukip will einen EU-Austritt Großbritanniens und strebt eine stärkere Abschottung gegenüber Ausländern an.
Zur Einwanderung Paddingtons hat Ukip sich bisher zwar nicht geäußert, aber der britische Economist weist nicht ohne Süffisanz darauf hin, dass der Film erstens sehr gut bei den Zuschauern ankomme und zweitens nicht von der öffentlich-rechtlichen BBC sondern privat finanziert sei. "Ohrenbetäubend" wäre ansonsten das Protestgeheul des Revolverblattes Daily Mail und des Ukip-Chefs Farage gewesen, schreibt die Zeitung. Und sie lobt den Film für seinen Fokus auf etwas, "wofür sich die Briten einst selbst gerühmt hätten: eine willkommene Haltung gegenüber Flüchtlingen".
Prädikat besonders wertvoll
Doch nicht nur der Economist greift den Film auf. Ein Rechtsanwalt für Einwanderungsrecht hat ihn für die Wochenzeitung New Statesman aus einer sowohl persönlichen als auch professionellen Sicht besprochen und erklärt, warum er "Paddington" schon seinen Kindern gezeigt hat, obwohl sie noch viel zu jung sind, um die Einwanderungsdebatte zu begreifen.
In Deutschland läuft der Film am heutigen Donnerstag an. Hierzulande hat er bereits das Prädikat "besonders wertvoll" eingeheimst. In der Begründung der Jury heißt es: "Paddington ist anders, aber er gehört zur Familie und ist hier zu Hause. Dieses Credo scheint in der heutigen Zeit wichtiger denn je, wo so viele Angst vor dem Fremden haben." Die Haushälterin der Browns fasst das Thema im Film in einem Satz zusammen: "Diese Familie braucht den Bären mindestens genauso dringend wie der Bär die Familie!" Ersetzt man die Familie durch Deutschland und den Bären durch die Einwanderer, kam die Bertelsmann-Stiftung in ihrer jüngsten Studie zu einem ganz ähnlichen Ergebnis.