Sexualisierte Gewalt:Der große Scanner

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Was schützt wen im Internet? Im EU-Parlament wird an diesem Dienstag über eine brisante Verordnung entschieden.
Was schützt wen im Internet? Im EU-Parlament wird an diesem Dienstag über eine brisante Verordnung entschieden. (Foto: Jean-Francois Badias/AP)

Eine geplante EU-Verordnung soll es Internetkonzernen erlauben, private Nachrichten ihrer Nutzer nach Hinweisen auf Kindesmissbrauch zu durchsuchen. Aus Sicht von Kritikern geht es aber um etwas ganz anderes.

Von Philipp Bovermann, München

In Brüssel endet am Dienstag ein Streit, in dem es unter anderem um Eselsex-Videos und eine angeblich nahende digitale Massenüberwachung geht. Eine geplante Verordnung des EU-Parlaments und der Mitgliedstaaten, über die die Abgeordneten nun entscheiden, soll es Internetkonzernen erlauben, sämtliche privaten Nachrichten ihrer Nutzer nach Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern zu durchsuchen. Auch nach "Grooming", also dem Anbahnen sexuellen Kontakts mit Kindern, sollen die Unternehmen unbeschränkt fahnden dürfen. Dass in dieser Debatte beiderseits mit schwerem rhetorischem Geschütz gefeuert wird, versteht sich angesichts der Thematik von selbst.

Die Gegner der Verordnung nennen sie "Chatkontrolle" und sehen sie als Auftakt einer Reihe staatlicher Repressionsmaßnahmen. Peder Iblher etwa, Referent für digitale Grundrechte bei der Giordano-Bruno-Stiftung, spricht von einem bekannten Muster, das man etwa auch beim Streit um die Vorratsdatenspeicherung habe beobachten können: "Um das durchzusetzen, wurde zuerst Kinderpornografie genannt, das ist immer der Eisbrecher, dann kommt Terrorismus, dann organisierte Kriminalität, und irgendwann wird so was auch auf relativ banale Delikte angewendet." Es ist ein schwerer Vorwurf: Nimmt der EU-Gesetzgeber die Bekämpfung von Kindesmissbrauch zum Vorwand, um Ermittlungsbehörden einen Zugriff auf private Kommunikation zu ermöglichen?

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Der Hintergrund der nun geplanten Verordnung ist, dass Ende Dezember das europäische Briefgeheimnis auch auf Messenger-Apps wie Whatsapp und digitale Plattformen ausgedehnt wurde. Das hatte die Nebenwirkung, dass Internetkonzerne ihre Dienste nun nicht mehr automatisch nach Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern durchsuchen und die Funde über eine US-Organisation an die Ermittlungsbehörden weiterleiten dürfen, wie es zuvor bereits geschah. Google und Microsoft ignorierten das Verbot zunächst, Facebook schaltete die Scanner ab - vorläufig, wie das Unternehmen betont, bis es für solche Systeme wieder einen Rechtsrahmen gibt. Den soll die geplante Verordnung nun bieten.

Darin steht allerdings, dass die Anbieter von Online-Diensten nicht nur wieder scannen dürfen, sondern es "ab dem 2. Quartal 2021" sogar müssen. Was das bedeutet, ist offen; die Verteidiger eines möglichst freien Internets befürchten aber bereits Schlimmstes, auch weil im vergangenen September ein interner Diskussionsbericht der EU-Kommission geleakt wurde. Das Papier erörtert verschiedene technische Wege, um sichere Verschlüsselungsverfahren auszuhebeln, wie sie etwa Whatsapp und Telegram bieten - einer Pflicht zum Scannen nach Darstellungen von Kindesmissbrauch stünden sie im Weg. Sven Herpig, der den Bereich internationale Cybersicherheitspolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung leitet, hat den Bericht gelesen. Sämtliche der diskutierten Verfahren liefen darauf hinaus, sagt er, "dass diese Dienste unsicherer werden". Wo es Hintertüren gebe, könnten auch Kriminelle diese benutzen.

"An Zynismus nicht zu überbieten"

Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piraten) glaubt, dass sich die Innenminister auf diesem Weg einen langgehegten Wunsch erfüllen wollen. Eine sogenannte Backdoor in verschlüsselte Kommunikation benennt etwa das Bundesinnenministerium in seinem jüngst veröffentlichten Entwurf einer Cybersicherheitsstrategie explizit als Ziel. Nur so lasse sich dieser Vorstoß verstehen, denn gegen Kinderporno-Ringe seien derlei Maßnahmen ohnehin unwirksam. Die Täter befänden sich im Darknet, in dem solche Scanner nicht funktionierten. Auf diesen anonymen Teil des Internets, sagt er, sollten sich die Ermittler konzentrieren - anstatt ihre Zeit damit zu verschwenden, Massen an größtenteils irrelevantem Material zu sichten.

Die Filter seien unpräzise, sie schlügen meist bei Fotos aus, die Kinder und Jugendliche selbst teilen, oder etwa beim "Sexting", also beim harmlosen Austausch anzüglicher Nachrichten zwischen Erwachsenen. Unschuldige seien etwa wegen eines "Eselsex-Videos" kriminalisiert worden. Anstatt "altes Material" aus dem Netz zu fischen und damit den "Heuhaufen" noch zu vergrößern, sollten die Ermittler lieber die Täter jagen.

Julia von Weiler lacht bitter auf, wenn man ihr diese Gegenargumente nennt. So zu tun, als sei "altes Material" nicht so schlimm, sei "an Zynismus nicht zu überbieten", sagt die Psychologin, die dem Verein Innocence in Danger vorsteht. Die Dargestellten litten ein Leben lang darunter, mit den Aufnahmen ihres Missbrauchs konfrontiert zu werden, Täter organisierten in speziellen Foren regelrechte Jagden auf die Opfer von damals. Die Sorge, dass solche rechtlichen Möglichkeiten ausgedehnt und dann missbraucht werden könnten, verstünde sie, aber "nichts im Leben ist tausendprozentig sicher". Es sei doch "merkwürdig, dass das immer erwartet wird". Sie habe "genügend Vertrauen in die deutsche Strafjustiz, dass das seine Wege geht".

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