Kindesmissbrauch:Im Freizeitladen der Grünen

Im Umgang mit den Taten und den Tätern zeigt die Partei ähnliche Schwierigkeiten wie die katholische Kirche. Offenbar braucht jede Institution Druck von außen.

Von Matthias Drobinski

Wenn innerhalb einer Institution sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche geschieht, dann hat das etwas mit dieser Institution zu tun. Dann trägt diese Gewalt einen je eigenen üblen Geruch, der daraus entsteht, wie in dieser Institution gedacht, geredet, gehandelt wird, wie sexueller Missbrauch entstehen, geduldet und vertuscht werden kann. Nur wer sich dieser strukturellen Dimension des Missbrauchs stellt, wird den Opfern gerecht. Das hat die katholische Kirche schmerzhaft lernen müssen. Das gilt aber in der gleichen Weise auch für die Grünen.

Bei ihnen riecht die Geschichte so: Unter dem Deckmantel der sexuellen Befreiung gelang es in ihrer Frühzeit Gruppen und Netzen von Päderasten, sich zumindest zeitweise und in bestimmten Szenen der Grünen einzunisten. Viel wichtiger als die Fahrt- und Kopierkosten, die sie abgriffen, war der Gewinn an gesellschaftlicher und politischer Legitimation ihres Tuns. Auch damals schon verspürten viele Grüne Unbehagen angesichts der fordernd auftretenden Päderasten. Doch viel zu lange unternahmen sie nichts. Viele Schwule zogen eine falsche Parallele, nämlich die zu ihrem eigenen Kampf um Entkriminalisierung. Die anderen wollten nicht als intolerant und spießig dastehen; nur die Feministinnen sagten klar: Es kann keine gleichberechtigte sexuelle Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen geben. In der katholischen Kirche nährte die Tabuisierung der Sexualität den Missbrauch und seine Vertuschung - in der grün-alternativen Szene war es die totale Enttabuisierung.

Der Partei geht es wie der Kirche: Sie braucht den Druck von außen

Es ist gut und dringend notwendig, dass die Berliner Grünen diese Zusammenhänge nun für die Kreuzberger Szene haben aufarbeiten lassen, schonungslos, von externen Historikern: dass mindestens drei Täter im Landesverband aktiv waren, einen Arbeitskreis gründeten und einen Freizeitladen, in dem sie Grundschulkinder missbrauchten. Es ist nicht ganz so gut, dass dieser Bericht offenbar erst dann schonungslos wurde, als Zeitzeugen gegen die Allgemeinplätze darin protestierten. Auch da geht es den Grünen nicht anders als der katholischen Kirche: Ohne Druck von außen siegt das Verlangen, die eigene Geschichte zu heiligen, damit die Institution in der Gegenwart ohne Kratzer bleibt.

Die Grünen waren so wenig wie die katholische Kirche ein Haufen von Missbrauchern und Vertuschern. Aber sie tragen Verantwortung für das, was in ihrem Milieu passieren konnte. Dieser Verantwortung müssen sie sich stellen; vermutlich gibt es mehrere Hundert Opfer allein der drei nun genannten Päderasten. Die Vorstellung, dass mit dem Bericht des Politologen Franz Walter von 2014 oder der jetzigen Kreuzberger Untersuchung die Sache erledigt sein könnte, ist eine Illusion. Es ist die Illusion einer Partei, die, wie alle Parteien, schlechte Schlagzeilen möglichst schnell vergessen machen möchte. Die Grünen wollten aber nie sein wie alle Parteien. Auch deshalb werden sie sich dem stellen müssen: dass es Missbrauch gab, der nach grün-alternativem Leben riecht. Gerade um ihrer Glaubwürdigkeit willen.

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