Süddeutsche Zeitung

Kindesmissbrauch:Das amtliche Versagen von Staufen

  • Nach dem Abschluss der juristischen Aufarbeitung des Missbrauchsfalls von Staufen hat eine Arbeitsgruppe von Juristen Präventionsmaßnahmen angemahnt.
  • Die Arbeitsgruppe "bittet" Baden-Württemberg zudem, die Jugendämter bei der Konzeption des Programms für rückfallgefährdete Sexualstraftäter zu beteiligen.
  • Das amtliche Versagen in dem Missbrauchsfall wird weiter aufgearbeitet.

Von Ralf Wiegand

Empfehlungen, Bitten, Ideen: Mit einem Bündel guter Ratschläge hat eine Arbeitsgruppe von Juristen auf einen erschütternden Fall sexuellen Kindesmissbrauchs im baden-württembergischen Staufen reagiert. Die Gruppe mit Vertretern des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe, des Amtsgerichts Freiburg und des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald hatte sich im März gebildet, nachdem das Jugendamt des Landkreises und die Justiz schwer unter Beschuss geraten waren.

Obwohl sich Familiengerichte und Sozialarbeiter immer wieder mit einer in Staufen lebenden Mutter und deren heute zehnjährigem Sohn befassten, war es der Frau und ihrem einschlägig vorbestraften Lebensgefährten möglich gewesen, den Jungen über zwei Jahre hinweg auf schwerste Weise zu missbrauchen und übers Darknet anderen Männern anzubieten. Dabei hatte der Haupttäter trotz eines Kontaktverbots mit dem Kind unter einem Dach leben können. Eine zwischenzeitliche Unterbringung des Jungen in einer Pflegefamilie war von zwei Familiengerichten beendet worden, ohne dass das Kind einen Verfahrensbeistand gehabt hätte oder angehört worden wäre. Später hatte das Jugendamt Hinweise auf einen Missbrauch des Jungen erhalten, aber niemandem mitgeteilt.

"Vorhandene Informationen sind von verschiedenen Stellen nicht frühzeitigst weitergegeben worden", stellt daher der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe fest, den der Präsident des OLG Karlsruhe, Alexander Riedel, in Freiburg vorstellte. In der Analyse soll es aber "nicht um Schuldzuweisungen" gehen, man wolle "die Vorgänge fachmännisch aufarbeiten", so Riedel. Das Schicksal des Jungen sei nicht rückgängig zu machen, bedauerte der Richter.

Das amtliche Versagen wird weiter aufgearbeitet

Juristisch ist der Missbrauchsfall im Eiltempo abgearbeitet worden. Die Mutter des Jungen, ihr Lebensgefährte und sechs Männer, die das Kind gegen Geld missbraucht hatten, sind zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Das amtliche Versagen wird weiter aufgearbeitet, demnächst geht eine Arbeitsgruppe aus dem Sozial-, dem Justiz- und dem Innenministerium Baden-Württembergs an den Start. Wann sie Ergebnisse liefern wird, ist offen.

Die vorhergehende, vom OLG Karlsruhe initiierte Arbeitsgruppe hat letztlich das Versagen der eigenen Institutionen untersucht. In ihrem Abschlussbericht vermeidet sie ein Urteil und belässt es bei Empfehlungen. So "sollte" der Informationsaustausch zwischen Familiengerichten, Jugendämtern sowie der Strafverfolgung verbessert werden. Die Justiz wird "gebeten", Jugendämter frühzeitig zu unterrichten, wenn sie von Sexualstraftätern weiß, die Umgang mit Kindern haben. Die Arbeitsgruppe "bittet" Baden-Württemberg zudem, die Jugendämter bei der Konzeption des Programms für rückfallgefährdete Sexualstraftäter zu beteiligen. Der Haupttäter von Staufen und einer seiner Mittäter waren in diesem Programm. Dem Jugendamt "empfiehlt" die Arbeitsgruppe, seine Erkenntnisse sofort mitzuteilen, damit Gerichte sie verwerten könnten. Im Fall Staufen hatte das Jugendamt Hinweise aus der Schule nicht weitergegeben.

Der Bericht empfiehlt, zu dokumentieren, wenn bei familiengerichtlichen Verfahren auf einen Beistand für das Kind verzichtet, also vom gesetzlichen Regelfall abgewichen wird. Auch die Anhörung einer Person, die das Kindeswohl gefährden könnte - in diesem Fall der Lebensgefährte der Mutter - sei "zu erwägen". Die Arbeitsgruppe regt auch an, mit den Eltern abzusprechen, wer Auflagen kontrollieren soll - die Kontaktsperre des Staufener Täters hatte niemand überwacht. Und schließlich sollten hauseigene Juristen des Jugendamts solche Verfahren begleiten. Das immerhin wird konkret: Das Jugendamt Breisgau-Hochschwarzwald sucht bereits einen Juristen.

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SZ vom 07.09.2018/fie
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