Kindersoldaten:"Die Köpfe entwaffnen"

Mohammed ist aus Sierra Leone geflohen, eine NGO in Kolumbien versucht, Kinder von Waffen fernzuhalten, und ein Projekt in Liberia hilft mit Minikrediten: Wege aus dem Trauma der Kindersoldaten.

Irene Helmes

Mohammed aus Sierra Leone (Name geändert) hat es geschafft. Seit zehn Jahren lebt er in Deutschland, zuerst in München, inzwischen in Nürnberg. Kürzlich ist er 25 geworden, ist Vater von drei kleinen Kindern, hat die Sprache gelernt, Arbeit gefunden und will sich im nächsten Jahr einbürgern lassen. Er ist gläubiger Muslim, betet jeden Tag. Und eigentlich will er nicht mehr darüber reden, dass seine Eltern vor seinen Augen getötet wurden, als er acht Jahre alt war, dass es seither von seinen Schwestern kein Lebenszeichen gibt. Dass er danach sechs Jahre lang bei Rebellentruppen kämpfte, bis ihm die Flucht gelang.

Kindersoldaten, dpa

Bilder wie dieses gehen um die Welt: Kindersoldaten in Sierra Leone im Jahr 2000.

(Foto: Foto: dpa)

Zu einem Treffen in München ist er bereit, weil ihn sein ehemaliger Vormund darum bittet. Der ist für ihn seit seiner Ankunft in Deutschland eine unverzichtbare Vertrauensperson. Mohammeds Bedingung: er will anonym bleiben. Er will keine Aufmerksamkeit, auch nicht zum Welttag gegen den Einsatz von Kindersoldaten am 12. Februar.

Was "damals in Afrika war", sei für ihn eigentlich kein Thema mehr - und doch lässt ihn die Vergangenheit nicht los. Etwa wenn er andere ehemalige Kindersoldaten kennenlernt. Als er Ali traf, "habe ich geweint wie ein Kind, er hat mir so leidgetan", sagt Mohammed. Keiner habe Ali glauben wollen, aber er habe sich in dessen Geschichte sofort wiedererkannt: "Als er erzählt hat, war es, als hätte er etwas aus meinem Kopf ausgeschnitten."

Langsam hat Mohammed in Deutschland die Angst abgelegt, Menschen aus seiner Vergangenheit wieder zu begegnen. Was denkt er heute über die, die ihn zum Kämpfen gezwungen haben? "Ich habe gehört, viele sind umgebracht worden. Das ist gut, sie haben es verdient." Aber wenn in Sierra Leone Frieden einkehre, wolle er dafür beten, dass sich die Menschen verzeihen können, dass die alten Fehler nicht wiederholt werden. "Aber wenn ihr Tod der einzige Weg ist, das zu löschen, soll es so sein."

Mohammed ist nicht alleine. Nach Schätzungen von Organisationen wie Terre des Hommes leben mindestens 500 ehemalige Kindersoldaten in der Bundesrepublik. Doch den wenigsten gelingt die Flucht aus ihren Heimatländern. Die traumatisierten Überlebenden, die in Afrika, Asien und Südamerika zurückbleiben, stehen vor dem Nichts.

Frido Kinkolenge ist Missionar, doch seine Vision ist greifbar: Ausbildung und Kleinstkredite sollen ehemaligen Kindersoldaten in Liberia ein neues Leben ermöglichen. Zwischen 1989 und 2003 erschütterte ein Bürgerkrieg den westafrikanischen Staat. Die Rebellen kamen "mit Macheten, Gewehren, allen möglichen Waffen, es war ein besinnungsloses Töten", sagt Kinkolenge. Er hält einen Vortrag in der Münchner Friedenskirche, um für sein Projekt zu werben. Ausgebildete Soldaten habe es damals kaum gegeben, also wurden Kinder, manche nur zehn oder elf Jahre alt, bewaffnet. "Die Rebellen gaben ihnen Drogen und magische Tränke, damit sie glaubten, die Kugeln könnten ihnen nichts anhaben."

Nach dem Waffenstillstand in Liberia 2003 boten die UN jedem Kämpfer im Tausch gegen seine Waffen 150 US-Dollar an - in Liberia ein kleines Vermögen. "Plötzlich wollten alle Pflegeeltern werden, um an das Geld zu kommen", sagt Kinkolenge. Dass die Kinder nach wenigen Wochen wieder vor die Tür gesetzt wurden, habe schnell neue Gewalt auf die Straßen gebracht.

Im Oktober 2004 gründet der Missionar aus dem Kongo in der Stadt Buchanan das Hilfszentrum "Hellere Zukunft" der evangelisch-methodistischen Kirche. Schon am ersten Tag kommen 250 Kinder. Damals wie heute identifizieren sich die meisten mit Ausweisen, die sie bei der Entwaffnung von der UN bekommen haben. Kinkolenge vermittelt Helfern Grundkenntnisse in Pädagogik und Psychologie.

Die Entlohnung ist angesichts der Inflation so gering, dass sie im Monat kaum für zwei Säcke Reis reicht. Doch Kinkolenge motiviert die Freiwilligen: Wenn nicht geholfen werde, "kann jeder kommen und die Kinder zurück in den Busch holen - dann können sie später zurückkehren und das Land erneut zerstören". Außerdem: Mädchen, die im Krieg Opfer sexueller Gewalt wurden, sehen oft keine Alternative zu einem Leben als Prostituierte. Ihnen soll ein weiteres Projekt in Kakata helfen.

Um in einem bitterarmen Land mit einer Analphabetenquote von etwa 80 Prozent zu überleben, müssen die Jugendlichen viel lernen. Lesen und Schreiben, Kochen und Backen, Maschinenschreiben und Umgang mit Computern, Schreinern, Nähen, Kosmetik und Frisieren, Batikarbeiten und Handwerk stehen auf dem Lehrplan. Und natürlich versucht die Mission, den Kindern Glauben zu vermitteln: Jeden Tag wird gebetet.

Im zweiten Teil erklärt Kinkolenge, wie das Projekt der Minikredite funktioniert - und eine NGO in Bogotà berichtet von der schwierigien Arbeit in Kolumbien.

"Die Köpfe entwaffnen"

Die Regeln sind streng. Der Fortschritt der Jugendlichen wird bewertet - wer hart genug lernt und arbeitet, kann sich schließlich selbstständig machen. Die anderen müssen wieder von vorne beginnen. Die Gefahr, dass die Jugendlichen es ohne ein "wachsames Auge" nicht schaffen oder von gierigen Verwandten ausgenutzt werden, ist groß, sagt Kinkolenge. Deshalb werden die Existenzgründer nicht sich selbst überlassen, sondern arbeiten auch nach ihren Abschlussprüfungen mit dem Zentrum. Mit ihren ersten Erlösen sollen sie langsam ihre Kredite abbezahlen, am Ende des Monats wird ihnen ein Teil des Gewinns ausbezahlt. Das Projekt mit den Minikrediten steht noch am Anfang, doch Kinkolenge hat sein Ziel klar vor Augen: "Wir wollen ihre Köpfe entwaffnen".

Ein Anruf in Bogotà: Dort versucht die Coalico, die "Kolumbianische Koalition gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten", seit 1999 die Wunden zu heilen, die die seit Jahrzehnten anhaltenden Kämpfe im Land hinterlassen. Menschenrechtler schätzen die Zahl der Kindersoldaten hier auf 7000 bis 14.000. Trotz Verhandlungen zwischen der Regierung und Paramilitärs rekrutieren die Rebellen der FARC und der Nationalen Befreiungsarmee ELN weiter Minderjährige, die im Kampf, als Boten, Informanten oder Sexsklavinnen missbraucht werden.

Eigentlich sollten inzwischen alle Kinder freigelassen werden, klagt Ana Maria Jimenez, Koordinatorin im Büro der Coalico. Doch das hätten die Paramilitärs nicht getan, stattdessen manchen Geld gegeben und mit dem Befehl nach Hause geschickt: "Erzählt niemandem, dass ihr bei uns wart". Die Schicksale dieser Kinder blieben also ungeklärt - und ihre Anführer ungestraft. Eines der größten Probleme, erklärt Jimenez, sei die mangelnde Verfolgung der erwachsenen Anführer. Zwar ist die Rekrutierung Minderjähriger in Kolumbien ein Straftatbestand. Doch die Gesetzbücher sind widersprüchlich und es gibt kaum Resultate. Nur zwei Anwerber seien bislang von einem Gericht verurteilt worden, so Jimenez. Deswegen erarbeite die Coalico derzeit ein Handbuch für Richter, Staatsanwälte und Ermittler - um deutlicher zu machen, "welche Auswirkungen diese Verbrechen auf Kinder haben".

Was soll aus denen werden, die freigelassen oder befreit werden? Die Coalico nennt sie "entwaffnete Kinder", nicht Kindersoldaten, weil so auch all jene berücksichtigt werden können, die zwar nicht kämpfen mussten, aber anders benutzt wurden. Am besten wäre es, sie zu ihren Eltern zurückzubringen, meint Jimenez - aber: "Viele sind in den bewaffneten Konflikt geraten, weil sie auf der Flucht von daheim waren - wegen sexueller Gewalt, Gewalt überhaupt, Armut. Manchmal wollen sie nicht zurück".

Also kommen sie zu Pflegefamilien oder in staatliche Einrichtungen. Diese Kinder "wurden dazu gebracht zu töten, Menschen zu verletzen, die sie kannten, sie wurden vergewaltigt", erinnert Jimenez. Die Eingewöhnung in die Heime sei also oft äußerst schwer."In den Kampfgruppen hatten sie Gewehre, Macht und Geld. Dann kommen sie in das Programm, haben keinen Anführer mehr, kein Geld, von dem sie sich selbst etwas kaufen oder das sie ihren Familien schicken könnten." Die Versuchung, zurückzugehen oder sich Gangs anzuschließen, sei für viele enorm.

Im letzten Teil lesen Sie, was die Arbeit der Aktivisten in Kolumbien gefährlich macht, wie es um den Umgang mit Ex-Kindersoldaten in Deutschland steht - und was Mohammed mit der Spielzeugpistole seines Kindes machte.

"Die Köpfe entwaffnen"

Damit es gar nicht soweit kommt, veranstaltet die Coalico mit der Hilfe von Terre des hommes Workshops. Jedes Jahr versuchen Partnerorganisationen vor Ort in Cauca und Putumayo, wo Guerillagruppen und Paramilitärs allgegenwärtig sind, Kindern ihre Rechte zu erklären, die Folgen von Krieg und Gewalt zu veranschaulichen. Gegen viele Hindernisse: Für Aktivisten in Kolumbien sei es sehr schwer, ihre Arbeit zu machen, sagt Jimenez.

In Bogotà könne die Coalico mit Rückendeckung durch die UN gut und sichtbar arbeiten - doch jenseits der Hauptstadt sehe es anders aus. Die Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisationen (NGO) vor Ort seien "Drohungen ausgesetzt, Informationen werden aus ihren Büros gestohlen. Die Regierung behauptet von manchen, sie unterstützten die Guerillas - solche Behauptungen gefährden unsere Arbeit".

Von derlei kann in Deutschland keine Rede sein - doch gibt es auch hier bei der Arbeit mit Ex-Kindersoldaten noch einiges zu verbessern, findet Albert Riedelsheimer. Er ist seit langem Vormund für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge beim Katholischen Jugendsozialwerk München und baut derzeit das Netzwerk "Separated Children" auf. Er schult Mitarbeiter des Bundesamtes für Flüchtlinge und konstatiert erfreut, dass sich zunehmend speziell ausgebildete Fachkräfte der Asylanträge von Ex-Kindersoldaten annehmen und immer mehr von ihnen in Deutschland bleiben können.

An Herausforderungen fehlt es nicht: Die Kinder sind traumatisiert, leiden an Sprachschwierigkeiten und massivem Kulturschock, haben Angst vor der Abschiebung und oft schlechte Erfahrungen mit Behörden. Und Riedelsheimer weiß auch um den tiefsitzenden Verdacht vieler, junge Flüchtlinge könnten ein Schicksal als Kindersoldaten nur erfinden. Doch das sei "so ähnlich, wie wenn man bei einer Frau sagt: Aha, jetzt zieht sie auch noch den Vergewaltigungs-Joker." Sicher, Einzelfälle wie die Zweifel an der Geschichte von Senait Mehari prägen sich ein, doch Riedelsheimer kontert: "Ich denke da an 'Florida-Rolf': Der Fall hat für viel Empörung gesorgt, bedeutet aber lange nicht, dass alle Hartz-IV-Empfänger schlechte Menschen sind."

Mohammed versucht unterdessen weiter, ein möglichst normales Leben zu führen. Wenige Tage nach dem Treffen will er zum ersten Mal seit seiner Flucht nach Afrika reisen - wenn auch nicht in seine Heimat, sondern ins Nachbarland Guinea, um die Familie seiner Frau zu besuchen.

Jetzt sei sein Leben "okay", sagt er. Dass in Deutschland Kriegsspielzeug und Killercomputerspiele überall zu haben sind, macht Mohammed auch nichts mehr aus, "nur am Anfang, als ich die Erinnerungen noch im Kopf gehabt habe". Doch einmal habe sein Kind eine Spielzeugpistole geschenkt bekommen - und musste sie zurückgeben. "Da habe ich gesagt: Nein, Waffen sind halt nicht für Kinder. Zuerst ist es Spielzeug, und irgendwann nehmen sie dann die richtigen Waffen. Am liebsten sollen sie etwas anderes lernen, Autos fahren zum Beispiel, aber nicht schießen oder jemanden umzubringen."

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