Die Nationalisten in Südkorea können Oh Se-hoon, dem Bürgermeister der Hauptstadt Seoul, nicht nachsagen, er kümmere sich nicht um ihre Interessen. Wenn es nach Oh ginge, würde am zentralen Gwanghwamun-Platz ein 100 Meter hoher Mast mit südkoreanischer Riesenflagge errichtet. Und auch der Umstand, dass er sein umstrittenes Kindermädchen-Programm mit Frauen aus den Philippinen ausbauen will, hat mit einem Bekenntnis zur Vielfalt wenig zu tun. Oh will mit den Ausländerinnen etwas gegen die niedrige Geburtenrate tun. Deshalb will er künftig auch mehr von ihnen aus ganz Südostasien ins Land holen und den Wettbewerb unter ihnen fördern, „um herauszufinden, was am besten zu unserer Situation passt“, wie Oh zuletzt im Stadtrat sagte.
Südkorea braucht in der Tat Lösungen für die schwindende Bevölkerung. Die Geburtenrate im Land – also die Zahl der Kinder, die eine Frau im Durchschnitt zur Welt bringt – lag 2023 bei 0,72. In keinem anderen Land stellt man die Karriere so konsequent über das Kinderkriegen wie in Südkorea. Da kann man noch so viele Nationalfahnen hissen – wenn das so weitergeht, wehen sie bald in der Leere.
Oh Se-hoon weiß das. Deshalb wirbt er für Zuwanderung gegen Arbeitskräfte- und Kindermangel. Wenn die Stadt Paaren Nannys vermittelt, die für relativ wenig Geld arbeiten, wollen diese Paare auch mehr Kinder – das ist die Idee hinter Seouls sechsmonatigem Pilotprojekt mit 100 Kindermädchen aus den Philippinen.
Am 6. August kamen sie an. Vorher hatten sie Gesundheits-, Fitness- und Sprachtests bestehen müssen. Weitere Voraussetzungen: ein Alter zwischen 24 und 38 sowie eine philippinische Pflegeausbildung nach dem Programm Caregiving NC II. Die Frauen wurden in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht und nach einem vierwöchigen Vorbereitungskurs einzelnen Haushalten mit berufstätigen Eltern zugewiesen. Bürgermeister Oh wollte für die Pflegerinnen einen Sonderpreis, um die Kosten zu senken. Die Opposition grätschte dazwischen. Deshalb bekommen die Nannys den Mindestlohn: 9860 Won pro Stunde, 6,64 Euro.
Die Frauen fühlen sich zu stark kontrolliert
Viele Seouler wiederum fanden das zu teuer. Aber Anfang September nahmen die Philippinerinnen ihre Arbeit auf – und bald gab es ganz andere Probleme. Zwei Kinderfrauen verschwanden und wurden zwei Wochen später in Busan aufgegriffen. Sie hatten dort illegal Putzjobs übernommen. Grund für die Flucht? „Überarbeitung und zu viel Kontrolle“, sagte Bernard Olalia vom philippinischen Amt für Auslandsbeschäftigung in der Nachrichtensendung 24 Oras. Auch Philippinerinnen, die nicht ausgerissen waren, klagten über langes Pendeln und das Ausgehverbot ab 22 Uhr. Arbeiterverbände stimmten ein. In der Korea Times kritisierte der Koreanische Gewerkschaftsbund eine „übereilte Politik“.
Menschen-Importe helfen eben nur, wenn man die Menschen nicht wie Ware behandelt. Immerhin: Bürgermeister Oh lenkt ein. Unter anderem schafft die Stadt die Sperrstunde ab und will den Monatslohn in zwei Tranchen ausbezahlen. Die ausgebüxten Philippinerinnen sind abgeschoben. Die anderen 98 arbeiten weiter. Seoul bekommt eine zweite Chance, sie ordentlich zu behandeln.