Süddeutsche Zeitung

Kinderehen:Noch ein Teenager und schon Ehefrau

Alter 15, Familienstand: verheiratet. Zahira ist eines von immer mehr Mädchen in Deutschland, die mit einem älteren Mann zusammenleben. Nun will die Regierung Kinderehen verbieten.

Von Ulrike Heidenreich

Irina Badavi war gerade 16 Jahre alt geworden, als sie verheiratet wurde. Mit einem wesentlich älteren Mann, den sie vorher nicht kannte. Es gab eine große Hochzeitsfeier, die das Mädchen starr vor Angst überstand - und eine Nacht, die für sie mit Blut, Schmerzen und Ekel endete. Was dazwischen geschah, schildert Irina Badavi so: "Da stand ich vor diesem riesigen Bett. Jetzt würde sie beginnen, meine Hochzeitsnacht. Für andere vielleicht ein Wort voller Romantik, für mich war es ein Wort, das nach Horror klang. Ich war nicht aufgeklärt, ich hatte keine Ahnung von Körperlichkeit und Sex. Darüber wurde in unserer Kultur nicht geredet. Meine Mutter hatte nur gesagt, dass ich ,vorher' duschen und ,hinterher' nicht gleich aufstehen dürfe. Das Blut müsse auf dem Laken verlaufen und gut sichtbar sein."

Dies ist keine Szene, die in einem fernen, fremden Land spielt. Szenen wie diese geschehen immer wieder, mitten in Deutschland. Kinderehen, Zwangsehen - wie auch immer man das nennen mag - sind Normalität in einer Parallelgesellschaft, die wenig wahrgenommen wird. Weil die betroffenen Mädchen, es sind aber auch Jungen, nicht darüber sprechen können. Weil sie Angst haben, weil sie ihre Rechte nicht kennen.

Irina Badavi kann inzwischen darüber sprechen. Die Jesidin, die aus Georgien nach Deutschland kam und mit einem hier lebenden Jesiden verheiratet wurde, konnte der Ehe entfliehen, in die sie als Kind gezwungen wurde. Sie lebt unter falschem Namen mit ihren zwei Kindern im Norden Deutschlands. Und sie redet über ihre Erlebnisse, um anderen Frauen zu helfen.

Zahiras Fall liegt dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor

Ein Mädchen, das im August 2015 aus Syrien nach Deutschland flüchtete, kann und darf nicht sprechen. Das Aschaffenburger Jugendamt und ihr Vormund wollen sie nach allen Regeln der Jugendhilfe schützen und ihre Anonymität sichern. Sie sei darum hier Zahira genannt, das ist ein syrischer Vorname und bedeutet "die Kleine". Als Zahira in Deutschland ankam, an der Hand eines - ihres - Ehemannes, war sie so schmächtig, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes nicht sicher waren, ob das Kind nicht erst zwölf anstatt der angegebenen 15 Jahre alt sein könnte. Ehemann H., ihr Cousin, wirkte älter als 21 Jahre.

Es ist Zahiras Fall, der nun dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorliegt. Es ist Zahiras Fall, der Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) veranlasst hat, eine Arbeitsgruppe zum Verbot von Kinderehen einzurichten. Noch diesen Monat will er einen Gesetzentwurf vorlegen, der das Mindestheiratsalter in Deutschland auf 18 Jahre festlegen soll. In besonderen Ausnahmefällen aber könnten Ehen von 16- bis 18-Jährigen anerkannt werden - etwa wenn es bereits Kinder aus der Beziehung gibt. Dieses Ansinnen wiederum ist umstritten in der Koalition und bei Menschenrechtsorganisationen. Es ist Zahiras Fall, der alle Nöte und Verunsicherungen auf diesem verletzlichen Terrain vereint. Es geht um die grundsätzliche Frage, ob eine Eheschließung, bei der mindestens ein Ehepartner jünger als 16 Jahre alt ist, vor dem deutschen Gesetz anerkannt wird oder nicht. In Deutschland ist eine Heirat ab 16 Jahren erlaubt, wenn ein Partner volljährig ist und die Erziehungsberechtigten der Eheschließung zustimmen.

"Jedes Wochenende finden in Deutschland Kinderhochzeiten statt, mal in kleinem Kreis vor einem Scheich, mal mit großen Festen in Hotelsälen", sagt Irina Badavi. Sie ist inzwischen 36 Jahre alt und weiß, wovon sie spricht. Sie hat sich zur Traumaberaterin in einem Frauenhaus ausbilden lassen. Es sind Kinderbräute aus allen Kultur- und Religionskreisen, mit denen sie nun beruflich zu tun hat. Kurdische Jesidinnen, Mädchen aus Afghanistan, aus Indien, aus der Türkei. Aus Gruppierungen, die auch in ihrer neuen Heimat Deutschland zusammenhalten und als gesellschaftlichen Klebstoff Hochzeiten untereinander arrangieren. "Oft sind die minderjährigen Ehepartner miteinander verwandt", erzählt Badavi. Sie selbst fürchtet die Rache der Familie ihres Ex-Mannes und trägt zur Tarnung oft Perücke.

1475 Kinderehen

verzeichnet das deutsche Ausländerzentralregister im Juli dieses Jahres. Bei 361 davon ist mindestens ein Partner jünger als 14 Jahre, bei 120 14 oder 15 Jahre alt.

Es ist also kein neues deutsches Phänomen. Dass Kinderehen nun derart in den Fokus geraten, hängt mit der Einreise Hunderttausender Geflüchteter im vergangenen Jahr zusammen. Vor allem in den Flüchtlingscamps in Jordanien und in Libanon, das berichtet Alia Al-Dalli, die Leiterin der SOS-Kinderdörfer im Nahen Osten, hat sich die Zahl der Zwangsehen erhöht. Syrische Mädchen werden mit meist viel älteren Männern verheiratet. Um Geld für sie zu erzielen, oder um sie auf der weiteren Fluchtroute körperlich abzusichern. An der Seite eines Ehemannes sind sie besser vor Vergewaltigungen geschützt.

So war es auch im Fall der kleinen Zahira. Sie gab an, mit 14 Jahren verheiratet worden zu sein, nach syrischem Scharia-Recht. Im zweiten Versuch gelang die Flucht im Schlauchboot nach Griechenland, dann ging es auf die Balkanroute, Ziel Deutschland. Immer eng an der Seite ihres Ehemannes. In Aschaffenburg angekommen, nahm das Jugendamt Zahira in Obhut, holte sie aus einer Turnhalle, wo sie mit dem Ehemann und 180 weiteren Flüchtlingen untergebracht war. Das Jugendamt berief sich auf das Kindeswohl und darauf, dass das Mädchen die Tragweite der Ehe nicht absehen könne und zur Führung eines selbstbestimmten Lebens nicht in der Lage sei. Das Paar wehrte sich dagegen und betonte, dass es sich von Herzen liebe. Das Mädchen verweigerte aus Protest Integrationskurse, der Ehemann klagte. Das Familiengericht folgte der Argumentation des Jugendamtes, dass deutsche Regelungen für Minderjährige zu gelten hätten und nicht der Schutz einer nach Scharia-Recht geschlossenen Ehe.

Die nächste Instanz, das Oberlandesgericht Bamberg jedoch, kam im Mai zu einem ganz anderen Urteil und betrieb dafür einigen Aufwand: Über die deutsche Botschaft in Libanon ließen die Richter recherchieren, dass das Paar in Syrien rechtmäßig geheiratet habe - Zivilregisterauszug und eine Heiratsurkunde des Scharia-Gerichts liegen vor. Es lägen keine Hinweise auf eine Zwangsehe vor, sodass auch keine Belange des Kindeswohls gegen die Rechtmäßigkeit dieser Ehe sprächen. Es ist ein ungewöhnlicher Beschluss, in dem zu lesen ist über Verhütungsmethoden, über Drei-Monats-Spritzen, die dem Kind empfohlen wurden. Zahira darf nun wieder bei ihrem Mann leben und tut dies auch. Die Stadt Aschaffenburg hat Beschwerde dagegen eingelegt. Das Mädchen wird intensiv vom Jugendamt betreut. Dessen Leiter, Adam Mantel, ist ein umsichtiger, abwägender Mann; er will keinem Urteil vorgreifen und sich nicht vor den falschen Karren spannen lassen. Entlocken lässt er sich aber, dass er wieder genauso handeln würde: "Da kann kein Jugendamt sehenden Auges nichts tun."

Die Union fordert ein Verbot von Eheschließungen unter 18 Jahren ohne Wenn und Aber. Justizminister Maas denkt über eine Anerkennung bei besonderen Härtefällen nach, etwa falls es bereits ein Kind gibt. Auch die Caritas oder das Deutsche Institut für Menschenrechte sprechen sich gegen ein pauschale Unwirksamkeit von Kinderehen aus. Die Experten befürchten Nachteile für die Betroffenen, den Verlust von Unterhaltsansprüchen oder des Aufenthaltsrechts. Über alle Grenzen hinaus ist jedoch klar: Ist ein Ehepartner unter 14, ist das Kindesmissbrauch und strafbar.

Im islamischen Recht sind Mädchen mit neun Jahren heiratsfähig

Im traditionellen islamischen Recht wird teilweise davon ausgegangen, dass Mädchen bereits mit neun Jahren und Jungen mit zwölf Jahren heiratsfähig sind. Das weltweit geltende katholische Kirchenrecht schreibt als Mindestalter für Mädchen 14 Jahre und für Jungen 16 Jahre vor. Laut dem Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier gibt es aber so gut wie keine kirchlichen Ehen von Minderjährigen in Deutschland. 664 der verheirateten Minderjährigen, die zurzeit in Deutschland leben, stammen aus Syrien. Weitere Herkunftsstaaten sind Afghanistan (157), der Irak (100), sowie Bulgarien (65), Polen (41), Rumänien (33) und Griechenland (32).

Irina Badavi ist voller Wut, wenn sie die politische Diskussion über Kinderehen verfolgt: "Es darf keine Ausnahmen geben. Es gibt keine Vorteile für die Mädchen, sie haben nur Nachteile", ruft sie laut. Die missbrauchte Frau, die von sich sagt, dass sie "ausgesucht wurde wie ein Stück Vieh", hat diese Wut in ein Buch gepackt, es heißt "Wenn der Pfau weint - Wie ich mich als Jesidin aus der Gewalt einer Parallelgesellschaft in Deutschland befreien konnte". Diese Parallelgesellschaft scheint zu wachsen. Irina Badavi beobachtet, dass die Mädchenhäuser, ein Ableger der Frauenhäuser für Minderjährige, voller werden. Zuletzt habe ihr ein Mann hasserfüllt zugerufen: "Warum soll ich eine Türkin aus Deutschland heiraten, die viel zu offen ist, wenn ich eine aus meinem Heimatdorf holen kann?" Die Regel, so Badavi, sei da: je jünger, desto begehrter.

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SZ vom 12.11.2016/lalse
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