Kinderbetreuung:Wenn Kleine ganz groß rauskommen

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Eltern wollen mehr mitreden dürfen, wenn es um ihre Kita-Kinder geht. Im Ministerium hegt man Zweifel, ob ein Gremium alle Interessen vertreten kann.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die Empfehlung der Leopoldina, Grundschulen zu öffnen, Kitas aber geschlossen zu halten, trifft keineswegs nur auf Zustimmung.

Von Barbara Vorsamer

So bald wie möglich sollen Grundschulen wieder öffnen, mit Klassengrößen von bis zu 15 Schülern, um die Distanz von 1,5 Metern zu gewährleisten. Die Kinder sollen Masken tragen und Hygieneregeln befolgen. So steht es in den Empfehlungen der Wissenschaftsgesellschaft Leopoldina. Manch Lehrerin und Lehrer und nicht wenige Väter und Mütter dürften sich da fragen, wann die Wissenschaftler zuletzt mit Sechs- bis Zehnjährigen zu tun hatten, ob sie die durchschnittliche Klassenzimmergröße kennen oder eine Ahnung davon haben, wie es um die Hygiene auf Schultoiletten bestellt ist.

Doch das sind Details, an denen sich mit etwas pädagogischer Fantasie (Händewaschen und Zähneputzen klappt in Kitas oft besser als zu Hause) und mehr Ressourcen (ausreichend Seife, Desinfektionsmittel und Toilettenpapier) etwas verbessern lässt. Anders sieht es im weiten Feld der professionellen Kinderbetreuung aus. 3,5 Millionen Familien haben ihre Kinder normalerweise in einer Kita. Darunter fallen Kindergärten und Krippen, aber auch die Betreuungsangebote für Schulkinder.

Das alles hat derzeit geschlossen und soll nach Empfehlung der Leopoldina auch bis zum Sommer zubleiben, Ausnahmen sind nur für Vorschulkinder und Kinder, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, vorgesehen. Ob und wie diese Empfehlungen umgesetzt werden, wollen die Bildungsministerien der Länder diese Woche entscheiden. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen deutete am Dienstag bereits an, dass sie sich eher nicht an die Ratschläge zu halten gedenkt.

"Kindern geht es immer nur so gut wie ihren Eltern."

Expertinnen und Experten schlagen schon jetzt Alarm. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) sorgt sich um das Wohlergehen des pädagogischen Personals. Bislang seien sowohl Fragen des Infektionsschutzes als auch der Hygiene und Sauberkeit an Bildungseinrichtungen vielfach nicht gelöst. Zudem stelle sich die Frage, was mit Lehrern, Eltern und Kindern sei, die Risikogruppen angehörten. Die Empfehlungen gäben hier keine Hinweise. "Öffnet man Schule und Kitas nur für 'gesunde und mobile' Kinder und Jugendliche, kommt es zu zusätzlichen Benachteiligungen", sagt GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. Die Vorschläge, erst einmal die Schüler vor dem Übergang auf die weiterführende Schule sowie Klassen kurz vor dem Abschluss zurückkehren zu lassen, zeige, dass Schule immer noch in erster Linie von den Zensuren und Prüfungen her gedacht werde - und nicht von einem umfassenden Bildungsbegriff ausgegangen werde, so Tepe.

Eine länger andauernde Schließung von Betreuungseinrichtungen ist für die Kinder besonders problematisch, die in schwierigen Familiensituationen leben oder Lernprobleme haben. "Die Notbetreuung sollte auf Kinder aus hochbelasteten Familien ausgeweitet werden, am besten sofort", fordert daher Fabienne Becker-Stoll, Direktorin des bayerischen Staatsinstituts für Frühpädagogik. Das sei möglich, derzeit würden oft nur ein oder zwei Kinder in einer Einrichtung betreut. Doch auch darüber hinaus appelliert sie an die Politik, Kindergärten und Krippen genau wie die Schulen sukzessive wieder zu öffnen - nicht nur wegen der Kinder. "Wenn es Kindergartenkindern dort gut geht, macht es ihnen wenig aus, wenn sie ein paar Wochen oder Monate zu Hause bleiben", sagt sie. Eltern sollten also keine Sorge haben, dass die Corona-Auszeit ihrem Nachwuchs langfristige Schäden zufügen könnte. Aber: "Kindern geht es immer nur so gut wie ihren Eltern." Und die leiden gerade. Die einen haben Existenzängste wegen Kurzarbeit oder Jobverlust, die anderen ächzen unter der Doppelbelastung von Beruf und Betreuung. Der Leopoldina zufolge soll das noch ein paar Monate so weitergehen. "Falls die Politik dem folgt, muss sie sich für die berufstätigen Eltern etwas überlegen", sagt die Wissenschaftlerin.

Schon jetzt, empfiehlt die Expertin, sollten sich Erzieher auf den Neustart vorbereiten

Ihrer Meinung nach ist eine langsame Öffnung von Kitas durchaus realistisch. "Sehr viele frühpädagogische Einrichtungen sind klein, nur eine Gruppe mit zwölf bis 25 Kindern, das ist kein Vergleich zu der Infektionsgefahr an einer Grundschule mit mehreren Hundert Schülern", sagt Becker-Stoll. Und auch für die Übergabe der Kleinsten gibt es bereits Vorschläge. Normalerweise werden sie von Arm zu Arm gereicht; der direkte Kontakt zwischen Eltern und Erziehern lässt sich da nicht vermeiden. Doch man könnte die Kinder auch auf eine eigens für diesen Zweck ausgebreitete Decke ablegen. Große Einrichtungen könnten die Kinder in kleineren Gruppen betreuen und für kürzere Zeit als bisher. Die Gruppen könnten sich abwechseln, dabei müsste aber immer darauf geachtet werden, dass stets dieselben Erzieher mit denselben Kindern zusammenkommen. "Hier muss man an kreativen Lösungen arbeiten anstatt einfach alles zuzusperren", sagt die Psychologin.

Damit der Neustart, wenn er kommt, gut klappt, empfiehlt sie dem Fachpersonal, auch mit ganz kleinen Kindern in Kontakt zu bleiben, Briefe zu schreiben oder Videobotschaften mit dem gewohnten "Guten Morgen"-Lied zu schicken. Kinder freuten sich über Impulse, wenn sie mal nicht von den Eltern kämen, da ist sich die Expertin sicher. Je nach Alter des Kindes sei aber zu erwarten, dass es nach der Krise wieder eingewöhnt werden müsse, befürchtet Becker-Stoll.

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