Vereinte Nationen:Schwere Last auf schmalen Schultern

Schwerstarbeit in Nepal

Schwerstarbeit in der Ziegelei: Kinder und Erwachsene tragen Ziegelstein-Stapel in einer nepalesischen Fabrik.

(Foto: Sulav Shrestha/picture alliance/dpa/XinHua)

Weltweit müssen über 150 Millionen Kinder arbeiten, um zu überleben. Die Pandemie hat die Lage noch verschärft. Eine UN-Konferenz sucht nun nach Wegen, wie man die Arbeit von Kindern bis 2025 beenden könnte.

Von Carina Seeburg, München

Sie sammeln Müll, putzen Schuhe, verkaufen Obst oder schleppen Steinbrocken in dunklen Bergwerken. Über 150 Millionen Kinder müssen nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO weltweit arbeiten, um zu überleben. Wie diese Zahl bis zum Jahr 2025 auf null reduziert werden kann, steht im Mittelpunkt der digitalen Auftaktkonferenz zum "UN-Jahr für die Beseitigung von Kinderarbeit", die am Donnerstag in Genf stattfindet. Die Ziele der Vereinten Nationen sind ambitioniert, denn die Corona-Pandemie hat die Situation weiter verschärft.

"Tausende Kinder aus ärmsten Familien sind gezwungen zu arbeiten, weil die Einkommen ihrer Eltern weggebrochen sind", sagt Jürgen Schübelin, Lateinamerika-Experte der Kindernothilfe in Duisburg. Auch Kinder, die bereits vor der Pandemie gearbeitet haben, seien durch die aktuelle Situation längeren Arbeitszeiten und schlechteren Bedingungen ausgesetzt, denn in Wirtschaftskrisen steige die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften - und am billigsten sind vielerorts eben Minderjährige.

Hinzu komme, dass sich die gegenwärtige Wirtschaftskrise in einer Ausnahmesituation ereigne, in der Millionen Kinder aus den Bildungssystemen fallen. "In vielen Regionen Lateinamerikas findet seit Monaten überhaupt kein Unterricht mehr statt", sagt Schübelin. Der Kontakt zwischen Lehrern und Schülern sei in vielen Fällen vollständig abgebrochen. Zudem führe die mangelnde technische Ausrüstung zu einer "digitalen Ausgrenzung" notleidender Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern. "Viele der Kinder werden nie in die Schule zurückkehren", sagt Schübelin. Da ist er sich sicher.

Um die Arbeit von Minderjährigen zu bekämpfen, müsse auch das öffentliche Bildungssystem gestärkt werden, sagt der Mitarbeiter der Duisburger Hilfsorganisation. Doch der Kampf gegen die Kinderarbeit, dem sich die Vereinten Nationen und die ILO schon seit Langem verschrieben haben, trifft ausgerechnet in stark betroffenen Ländern auf Widerstand.

Die Situation vor Ort werde verkannt, denn Kinderarbeit könne nicht verboten werden, solange viele in der Bevölkerung unter großer Armut leiden - so argumentieren mehrere Organisationen, etwa Unatsbo, eine Union von Kinder- und Jugendarbeitern in Bolivien. Nach deren Einschätzung wird ein Verbot die Arbeit von Minderjährigen nicht verhindern, sondern Kinder in die Illegalität treiben. Viele bolivianische Kinderarbeiter kämpfen daher in den Organisationen für ihr Recht zu arbeiten.

Erfolge von zwei Jahrzehnten stehen auf dem Spiel

"In Bolivien ist Kinderarbeit eine gesellschaftliche Realität, die kann man nicht wegdiskutieren", räumt auch Schübelin ein, denn in dem Andenstaat müssen weit mehr als 700 000 Kinder zum Überleben ihrer Familien beitragen. Um sie dabei zu schützen, erließ die Regierung von Evo Morales 2014 ein Gesetz, das die gängige Praxis entkriminalisierte und Kindern ab zehn Jahren das Arbeiten unter bestimmten Auflagen gestattete. Denn Morales, der selbst als Kind Ziegel brannte, Lamas hütete und in einer Bäckerei aushalf, um seine Familie zu unterstützen, sieht die Arbeit von Kindern auch als Teil der indigenen Kultur Boliviens.

"Das Gesetz war der Versuch, die Realität anzuerkennen und ihr einen rechtlichen Rahmen zu geben", sagt Schübelin. Es habe Jungen und Mädchen einen besseren Schutz versprochen und ihnen Rechte garantiert. International war das Entsetzen über die Legalisierung von Kinderarbeit jedoch groß und der Druck von Beginn an hoch, sodass die bolivianische Regierung wesentliche Passagen inzwischen zurückgenommen hat. Der Konflikt jedoch bleibt, ebenso wie die Probleme struktureller Armut.

Was also kann die Weltgemeinschaft tun, um das hochgesteckte Ziel, Kinderarbeit bis zum Jahr 2025 zu überwinden, noch zu erreichen? Darüber werden Experten der ILO und der UN auch mit dem indischen Kinderrechtsaktivisten und Nobelpreisträger Kailash Satyarthi diskutieren. Durch die Corona-Pandemie steht der Erfolg von zwei Jahrzehnten in der Bekämpfung von Kinderarbeit auf dem Spiel: Seit dem Jahr 2000 konnte die Arbeit von Minderjährigen weltweit bereits von etwa 246 Millionen auf 150 Millionen gesenkt werden.

"Es gibt keine einfache Lösung und keinen Königsweg", sagt Schübelin. Um den Teufelskreis aus Armut und Kinderarbeit zu durchbrechen, seien besonders Staaten gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, die auch armen Kindern eine gute Schulbildung als Ausweg garantieren. Außerdem müssten sie Gesetze verabschieden, die Kinderarbeit in internationalen Lieferketten bekämpfen. Nur so könnte man die Wende schaffen.

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