Missbrauch:Was Kinder wirklich schützt

Mißbrauchsfall Lügde

Der Fall Lügde als Warnung: Auf diesem Campingplatz in Nordrhein-Westfalen kam es zu hundertfachem Kindesmissbrauch.

(Foto: dpa)

Das Gesetz gegen Cyber-Grooming - die sexuelle Belästigung im Netz - ist ein Fortschritt. Aber der Schutz vor Übergriffen fängt immer in der Familie an.

Kommentar von Meredith Haaf

Gegen ein Gesetz, das es Erwachsenen schwerer macht, Kinder sexuell auszubeuten, kann man eigentlich nichts sagen. Der Beschluss des Bundestags, die Befugnisse der Polizei bei der Ermittlung in Fällen von sogenanntem Cyber-Grooming zu erweitern, ist nachvollziehbar. Künftig wird nun schon der Versuch, einen sexuellen Kontakt zu einer oder einem Minderjährigen anzubahnen, strafbar, genau wie der Versuch, das Kind per Chat oder Ähnlichem zu einer entsprechenden Handlung zu animieren - und zwar selbst dann, wenn es sich nicht um ein "echtes" Opfer handelt, sondern um einen Lockvogel. Es wird also nicht nur die Tat bestraft, sondern bereits die Absicht. Nicht der tatsächliche Schaden an einem Kind wird Anklagepunkt, sondern der Wille, Schaden in Kauf zu nehmen.

Wie praktikabel das Gesetz wirklich ist, wird sich noch zeigen. Zum einen ist Absichtskriminalität ein gesellschaftlich heikles Konzept und vor Gericht schwer geltend zu machen. Zum anderen gibt es ein handfestes Umsetzungsproblem. Im Idealfall würde die Polizei nun eine Masse von KIs einsetzen, um potenzielle Täter in die Falle zu locken. Doch die Ermittlungseinheiten zur Cyber-Kriminalität in allen Bereichen sind nicht gerade überbesetzt; die zuständigen Beamten haben mit Ressourcen-Knappheit zu kämpfen und mit Tätern, die sich immer neue technologische Schlupfwinkel suchen.

Hinzu kommt: Kindesmissbrauch ist kein Internetphänomen. Dass eine besonders große Gefahr für Kinder und Jugendliche von Handy und Computer ausgeht, hat mehr mit der landläufigen Vorstellung zu tun, dass sexualisierte Gewalt vor allem vom fremden Mann droht, der im Gebüsch lauert, als mit der Realität: Nachweislich und bedrückenderweise geht die größte Gefahr für ein Kind, missbraucht und ausgebeutet zu werden, vom sozialen Nahbereich aus. Das zeigen nicht zuletzt die Verbrechen in Lügde und Bergisch-Gladbach, wo Kinder über viele Jahre von einem losen Netzwerk Erwachsener ihrer Familien und Bekannten missbraucht wurden.

Doch die digitalen Technologien geben den Verbrechen an den Kindern eine neue Ebene. In sehr vielen Fällen wird nicht nur deren Schutzlosigkeit zur unmittelbaren Befriedigung der Täter selbst missbraucht. Die Täter dokumentieren das Ganze und teilen es mit interessierten Drittparteien - über Chats und andere Netzwerktechnologien. Die können sich hinter ihren Bildschirmen verstecken als passive Abnehmer oder Chatteilnehmer, als reine Konsumenten. Vor der Strafverfolgung sind sie auch halbwegs sicher: Die Strafandrohung für den Besitz und Konsum von "kinderpornografischem" Material ist mit maximal drei Jahren läppisch gering, wenn man bedenkt, dass es ohne Nachfrage auch keinen Markt für die Tat gibt. Sich hinter der Ausrede zu verstecken, man habe ja selbst nichts getan, sondern nur geklickt, geguckt, gechattet - das gilt jetzt nicht mehr, und das ist ein wichtiger gesellschaftlicher Schritt.

Für Kinder und Jugendliche, die allein im Netz unterwegs sind, ist der Bildschirm eben kein Schutzwall, sondern ein neuer Aspekt der Schutzlosigkeit. Erwachsene, die das ausnutzen wollen, sollten bestraft werden. Aber genau so wichtig bleibt die Verantwortung derjenigen, die für das Kind Sorge zu tragen haben. Eltern müssen das Online-Verhalten ihrer Kinder genauso verantwortlich begleiten wie deren Schulleben und Freundeskreise. Denn Schutz vor Übergriffen - egal ob aus dem Internet oder aus dem Bekanntenkreis - fängt immer in der Familie an.

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