Süddeutsche Zeitung

Kitas und Corona:Eine Frage des Respekts

Die Kleinsten dürfen von der Politik nicht weiter unter dem Punkt "Sonstiges" abgehandelt werden. Es ist dringend geboten, den Bedürfnissen von Eltern und Kindern nun oberste Priorität einzuräumen.

Kommentar von Henrike Rossbach

Sie sind zurück, die Kleinkinder, die morgens mit ihrem Minirucksack in den Kindergarten rollern, die Krippenkinder im Buggy und die stolzen Vorschüler, die schon ihren Namen schreiben und bis 17 zählen können. Das Kita-Jahr hat in vielen Bundesländern begonnen.

Weil aber sonst kaum etwas ist wie sonst, nehmen viele Eltern nun vermutlich ins abendliche Stoßgebet mit auf, dass es bitte nicht gleich wieder vorbei sein möge mit dem Kindergarten und dem halbwegs normalen Familienleben.

Kita in Zeiten der Pandemie ist eine Herausforderung, die auch die Bundesfamilienministerin auf den Plan ruft. Alles müsse getan werden, so die Botschaft von Franziska Giffey, um abermalige Schließungen im großen Stil zu vermeiden. Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass nichts mehr funktioniere ohne Kinderbetreuung.

Eine Feststellung, die Eltern nur ein müdes "Ach?" entlocken dürfte, vielleicht gepaart mit dem Hinweis, dass man die Ministerin dazu gerne früher und lauter vernommen hätte. Es waren schwere Monate für Familien - und zwar nicht nur wegen des aus den Fugen geratenen Alltags, sondern auch wegen des Gefühls, nicht besonders wichtig zu sein für jene, die die Entscheidungen trafen. Und leider hat sich das nicht wirklich geändert.

Während es anderswo schon früh in der Krise Pressekonferenzen nur für Kinder gab, bekamen Eltern hierzulande erst kürzlich noch Drohbriefe vom Amt. Wenn ihr Kind wegen eines Infektionsfalls in der Kita oder Schule in Quarantäne musste, sollten sie es zu Hause vom Rest der Familie isolieren. Sprich: alleine zum Spielen ins Zimmer und abends allein ins Bett schicken. Ansonsten drohe die "Herausnahme" des Kindes aus der Familie.

Paragrafensatte Lebensferne

Es ist diese paragrafensatte Lebensferne, die Eltern und Kindern den letzten Nerv raubt. Der Mangel an Empathie mit den Kleinsten zeigte sich schon in den ersten Pandemiewochen, als die Kinder und ihr auf den Kopf gestelltes Leben von der Politik meist unter dem Tagesordnungspunkt "Sonstiges" abgehandelt wurden.

Nun kann man natürlich der Meinung sein, Empathie habe in der Seuchenbekämpfung schlicht nichts zu suchen. Es geht aber nicht ums Streicheln von Eltern- und Kinderseelen. Es geht darum, ob Regierung und Verwaltung Kinder wirklich ernst nehmen mitsamt den Besonderheiten, die Kleinsein mit sich bringt. Oder ob ein von Erwachsenen für Erwachsene erdachtes Raster über die Lebenswirklichkeit der Kinder gelegt wird.

Die Frage ist: Werden Kinder in diesem Land wirklich gesehen? Die ideenlosen Komplettschließungen, als erste Studien schon bezweifelten, dass kleine Kinder Infektionstreiber sind; die unsäglichen Quarantänebriefe; der in einigen Ländern dilettantisch und kurz vor knapp organisierte Schul- und Kitastart: All das nährt den Verdacht, dass die Antwort "Nein" lautet.

Die Welt ist nicht wie früher

Hinzu kommt, dass auch sieben Jahre nach Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Krippenplatz der Gedanke, dass frühkindliche Betreuung Bildung bedeutet, keineswegs Common Sense ist. Manch ein Politiker findet es vermutlich, mehr oder weniger heimlich, gar nicht schlecht, dass die Kleinsten jetzt wieder ganz viel bei Mama waren - so wie früher, da ging das doch auch!

Die Welt aber ist nicht wie früher. Das anzuerkennen und den Bedürfnissen von Eltern und Kindern in der nächsten Pandemiephase oberste Priorität einzuräumen, ist dringend geboten. Und eine Frage des Respekts.

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SZ vom 11.08.2020/odg
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