Studie:Jedes fünfte Kind in Deutschland ist armutsgefährdet

Studie: In Deutschland sind laut einer Studie Kinder mit alleinerziehenden Eltern sowie mit zwei und mehr Geschwistern überdurchschnittlich von Armut betroffen.

In Deutschland sind laut einer Studie Kinder mit alleinerziehenden Eltern sowie mit zwei und mehr Geschwistern überdurchschnittlich von Armut betroffen.

(Foto: Marcel Kusch/dpa)

Fast 2,9 Millionen Mädchen und Jungen sind betroffen, zeigt eine Analyse der Bertelsmann-Stiftung. Mehrere Verbände kritisieren politische Ignoranz und fordern, die Grundsicherung anzuheben.

Mehr als jedes fünfte Kind unter 18 Jahren ist einer Analyse zufolge im vergangenen Jahr in Deutschland von Armut bedroht gewesen. Es handelt sich um 2,88 Millionen Mädchen und Jungen, wie die Bertelsmann-Stiftung am Donnerstag in Gütersloh mitteilte. "Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leidet täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und hat zugleich deutlich schlechtere Zukunftschancen", sagte Bertelsmann-Expertin Anette Stein. Die Stiftung warnte davor, dass die Preissteigerungen in der aktuellen Krise das Problem noch verschärfen.

Als armutsgefährdet gelten Kinder und Jugendliche in der Studie, wenn ihre Familie über weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens (Median) verfügt. Zudem gebe die Zahl der Kinder in Haushalten, die Sozialleistungen beziehen, Hinweise zum Armutsrisiko. Diese Gruppe sei zum ersten Mal seit fünf Jahren deutlich gewachsen: So hätten vergangenen Sommer etwa 1,9 Millionen Minderjährige in Haushalten mit Sozialleistungen gelebt. Die Zunahme sei vor allem auf die aus der Ukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen zurückzuführen, erklärte die Stiftung. Insgesamt gesehen seien Kinder mit alleinerziehenden Eltern sowie mit zwei und mehr Geschwistern überdurchschnittlich von Armut betroffen.

Viele arme Kinder leben in Ruhrgebietsstädten

Aufgezeigt werden auch starke regionale Unterschiede: Während im bayerischen Roth die Quote der betroffenen Kinder nur bei knapp drei Prozent lag, waren es im nordrhein-westfälischen Gelsenkirchen fast 42 Prozent. Auch in anderen Ruhrgebietsstädten wie Essen, Dortmund, Hagen, Herne oder Duisburg fiel die Quote mit 30 Prozent überdurchschnittlich hoch aus. Die SPD-Fraktion im NRW-Landtag forderte einen Masterplan zur Bekämpfung der Kinderarmut, die schwarz-grüne Landesregierung müsse umgehend handeln.

Aber auch 1,55 Millionen junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren sind von Armut bedroht. Das entspricht etwa jedem Vierten in dieser Gruppe, die somit das höchste Armutsrisiko aller Altersgruppen aufweist. Die Quote zeige, dass verschiedene Maßnahmen für junge Erwachsene wie Bafög oder Wohngeld nicht gut zusammenwirkten, kritisierte Stein. "Ohne Unterstützung durch ihre Eltern wäre es vielen nicht möglich, ihre Existenz zu sichern. Damit hängen die Chancen junger Menschen weiterhin zu stark vom Elternhaus ab."

Die von der Bundesregierung angestrebte Kindergrundsicherung müsse schnell kommen, fordert die Bertelsmann-Stiftung. Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte dafür kürzlich die Eckpunkte vorgelegt und angekündigt, dass Familien und ihre Kinder davon ab 2025 profitieren sollten. Staatliche Leistungen für Kinder - Kindergeld, Kinderzuschlag, Leistungen für Kinder im Bürgergeldbezug, Zuschüsse für Schul- und Freizeitaktivitäten oder steuerliche Kinderfreibeträge - sollen darin zusammengefasst und unbürokratisch ausgezahlt werden. Erst am Mittwoch hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag die Kindergrundsicherung als ein "großes Vorhaben der Bundesregierung" bezeichnet.

"Kinderarmut ist Resultat jahrzehntelanger politischer Unterlassungen"

Als Reaktion auf die neuen Zahlen in der Studie forderte der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband hingegen eine sofortige Anhebung der Grundsicherungsleistungen um mindestens 200 Euro im Monat. "Kinderarmut ist kein Schicksal, sondern Resultat jahrzehntelanger politischer Unterlassungen", kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider. Der Politik warf er armutspolitische Ignoranz vor.

Das Deutsche Kinderhilfswerk mahnte, einerseits die materielle Absicherung von Kindern und ihren Familien in den Blick zu nehmen, andererseits aber auch ihre Versorgung in den Bereichen Gesundheit, Mobilität, Freizeit und soziale Teilhabe. "Die notwendigen finanziellen Mittel müssen schon jetzt in den Finanzplanungen des Bundes berücksichtigt werden", sagte Geschäftsführer Holger Hofmann.

Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung wurde als Definition für die Armutsgefährdung von Kindern und Jugendlichen "weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens" angegeben. Das ist falsch und würde wegen hoher Ausreißer bei Spitzeneinkommen einen deutlich höheren Wert ergeben. In der Bertelsmann-Studie ist die Rede von "weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens" (Median). Das ist der Wert, den man erhält, wenn man alle Einkommen nebeneinander als Säulen anordnet und den Wert jener Säule abliest, welche in der Mitte steht. Wir haben das im Text korrigiert.

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