Kim Jong-un:Ein Diktator auf Reisen

Kim Jong Un

Kim Jong Un kommt mit dem Zug - die Fahrt nach Vietnam dauert etwa 60 Stunden.

(Foto: AP)
  • Am Dienstag wird Kim Jong-un zum Staatsbesuch in Vietnam erwartet.
  • Er will sich vor allem über "Doi Moi" informieren, die vietnamesische Version der ostasiatischen Wirtschaftsreformen.
  • Nordkorea hat jenen Punkt erreicht, an dem es rasches Wirtschaftswachstum braucht, um stabil zu bleiben.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Kim Jong-un wird am Dienstag in Hanoi erwartet. Der nordkoreanische Machthaber will Vietnam einen Staatsbesuch abstatten. Mit dem Präsident Nguyen Phu Trong wird er die "ewige Freundschaft" ihrer nominell kommunistischen Staaten feiern. Vor allem aber will er sich über "Doi Moi" informieren, die vietnamesische Version der ostasiatischen Wirtschaftsreformen.

Samsung betreibt acht Fabriken in Vietnam. 2017 hat der südkoreanische Konzern für fast 50 Milliarden Euro Elektronik aus Vietnam exportiert, ein Viertel der gesamten Ausfuhren des Landes. In Hanoi gibt es auch ein Samsung-Entwicklungslabor. Firmen aus Japan, Europa und den USA produzieren ebenfalls in Vietnam. Und aus Südkorea einige, die bis vor drei Jahren in Kaesong arbeiteten, dem geschlossenen gemeinsamen Industriepark der beiden Koreas.

Kim fährt Bahn. Er ist 60 Stunden in einem gepanzerten Zug unterwegs

Von einer solchen Wirtschaftszusammenarbeit kann Kim, der am Samstagabend mit seinem gepanzerten Zug aus Pjöngjang abgereist ist, auf seiner 60-stündigen Bahnfahrt nach Vietnam nur träumen. Dabei läge Nordkorea für südkoreanische Unternehmen viel näher, es gäbe keine Sprachbarriere. Und vorerst dürften die Löhne günstiger sein.

Nordkorea hat jenen Punkt erreicht, an dem es rasches Wirtschaftswachstum braucht, um stabil zu bleiben. Eigentlich hatte es diesen Punkt schon früher erreicht, etwa mit der Hungersnot zwischen 1996 und 1998, als die staatliche Lebensmittelversorgung zusammenbrach und etwa zwei Millionen Menschen umkamen. Doch statt Reformen einzuführen, priorisierte Kims Vater Kim Jong-il fortan das Militär und verschärfte die Repression.

Sein Sohn ist in seinen Reden davon schrittweise abgerückt. Diese Abkehr sei "unumkehrbar", schrieb die Parteizeitung Rodong Sinmun vor Kurzem. Damit bleibt Kim zur Rechtfertigung seiner absoluten Macht nur noch eine schnelle Verbesserung des Lebensstandards. Wie sie China und Vietnam in den vergangenen Jahrzehnten geschafft haben. Und zuvor auch Südkorea. China begann seine Reformen nach Maos Tod 1976, Vietnam 1985. In beiden Ländern ist es den Regimen gelungen, die Wirtschaft umzukrempeln, um sich gerade damit an der Macht zu halten. Südkorea, bis 1965 eines der ärmsten Länder der Welt und eine üble Militärdiktatur, hatte damit schon 1962 begonnen. Auch jenem brutalen Regime gelang es, sich die Macht dank raschem Wirtschaftswachstum zu sichern. Zumindest bis 1987.

Nordkorea braucht Wachstum. Es könnte zum letzten "Tigerstaat" werden

Ausgedacht hatte sich das Prinzip, nach dem die Länder Ostasiens eines nach dem andern ihre Armut überwanden und sich modernisierten, ein Teezeremonien-Meister auf der japanischen Insel Kyushu. 1827 litt die damalige Provinz Satsuma unter Missernten, der Fürst wollte ein Sparprogramm erlassen. Sein Teezeremonien-Meister Hirosato Zusho widersprach, so John Sagers in seinem Buch "Origins of Japanese Wealth and Power".

Zusho forderte den Fürsten auf, die Importe zu substituieren, die Qualität der Produkte für den Export zu verbessern und die Kosten zu reduzieren. Der Fürst betraute Zusho, der keine Vorkenntnisse hatte, mit der Wirtschaftspolitik. Dieser holte neue Technologien und Fachleute aus anderen Provinzen nach Kyushu und förderte neue Branchen, etwa die Stahlproduktion und den Schiffbau. Damit sanierte er die Provinz.

Fünfzig Jahre später setzten die Enkel jenes Satsuma-Fürsten auf die Prinzipien Zushos, um Japan zu industrialisieren. Nippon wurde binnen Jahrzehnten zur Wirtschafts- und militärischen Macht in Ostasien. In den 1930er-Jahren wandte Tokio das Prinzip in der Mandschurei an, dem Marionettenstaat im heutigen Nordosten Chinas. Und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es - verfeinert - zum Wiederaufbau genutzt. Seither modernisierten Hongkong, Singapur, Südkorea, Taiwan, China und Vietnam nach diesen Grundsätzen. Sie boten sich zuerst als Produktionsstandorte mit gut ausgebildeten Leuten und tiefen Löhnen für Unternehmen aus reicheren, technisch kompetenteren Länder an. Und lernten von ihnen. Kopierten sie dann und begannen schließlich, eigene Produkte zu entwickeln.

Keine dieser Volkswirtschaften ist zu einem freien Markt übergegangen, auch Japan und Südkorea bis zur Jahrtausendwende nicht. Makroökonomisch waren sie Planwirtschaften, den Markt ließen sie nur an der Basis spielen. Das kann Nordkorea durchaus reproduzieren. Es kann zum letzten "Tigerstaat" Ostasiens werden. Dazu wird Kim kein "vietnamesisches Modell" kopieren, er wird auch anderswo Anleihen machen.

Zumal der Norden, anders als China und Vietnam damals, kein Agrarstaat ist und Kim die Landwirtschaft teilweise bereits liberalisiert hat. Dennoch wird Kim Vietnams Beispiel jenem Chinas vorziehen. Einerseits trieb Vietnam Doi Moi zaghafter voran als China seine Reformen, Hanoi wollte die Macht der KP nicht gefährden. Zudem sind Vietnams Institutionen (noch) schwächer als jene in China, die Macht des Regimes damit absoluter, so Vu Minh Khuong von der National University in Singapur. Das dürfte Kim entgegenkommen.

Pjöngjang blickt, wie Hanoi, misstrauisch nach Peking. Von einem "vietnamesischen Weg" zu sprechen ist für Kim propagandistisch unverfänglicher, zumal bereits der vietnamesische Revolutionär Ho Chi Minh und Kims Großvater Kim Il-Sung diese "Völkerfreundschaft" pflegten. Und sich besuchten: Großvater Kim schon damals mit dem gepanzerten Zug.

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