Kim Jong-un:Der Tyrann macht eine Kehrtwende

  • Nordkoreas Diktator Kim Jong-un verblüfft mit seiner Charmeoffensive die Welt.
  • Für die Südkoreaner ist Kim vom Bomben werfenden Cartoon-Ungeheuer zum Menschen geworden.
  • Für seine diplomatische Kehrtwende hätte Kim viele Gründe, allen voran diesen: Die Nordkoreaner wollen ein besseres Leben.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Seit Jahresbeginn macht der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un in atemberaubendem Tempo diplomatische Avancen. An diesem Wochenende legte er kräftig nach: Nordkorea werde sein Atomtestgelände in Punggye-ri im Mai definitiv schließen, gab der Sprecher des südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in am Sonntag bekannt. Dazu werde Nordkorea Wissenschaftler und Journalisten aus den USA und aus Südkorea einladen.

Beim Gipfel zwischen Kim und Moon am Freitag war es noch vor allem um Symbolik und koreanische Nostalgie gegangen. Zugleich erklärte Kim sich - allerdings unspezifiziert - zur kompletten Denuklearisierung bereit. Die Welt rätselt seither, warum.

Für die Südkoreaner ist Kim jedenfalls vom Bomben werfenden Cartoon-Ungeheuer zum Menschen geworden. Auf dem Gipfel haben sie ihn erstmals ausführlich sprechen gehört. Er wirkte verbindlich, emotional, mal ernst, mal witzig, auch selbstironisch. So hat er viele Südkoreaner für sich eingenommen. Auch in Nordkorea grenzt der Diktator sich gegen seinen Vater und Großvater ab, die vor ihm an der Macht waren.

Gewiss, auch Kim Jong-un ist ein totalitärer Diktator, die Nordkoreaner sind ihm ausgeliefert. Aber anders als die beiden älteren Kims tritt er auch dort als Mensch auf. Die bisher propagierte Pseudoreligion zeichnete Vater und Großvater dagegen als Halbgötter und Übermenschen. Dazu machte die Propaganda Anleihen aus der Bibel: Bei der Geburt von Vater Jong-il am heiligen Berg Paektu sei ein neuer Stern am Himmel aufgetaucht. In Wirklichkeit wurde Kim Jong-il im sowjetischen Exil geboren.

Die nordkoreanischen Medien zeigen Kim Jong-un als modernen, urbanen Mann, der mit seiner Frau auftritt, Pop-Konzerte besucht, Achterbahn fährt. Auch vom System des Vaters entfernt er sich schrittchenweise. Der Vater stützte sich auf "Songun", "die Armee zuerst". Kim Jong-un machte daraus "Byungjin", das stand für die Parallelentwicklung von Waffen und Wirtschaft. Im November erklärte er Byungjin für beendet. Das Atomprogramm sei abgeschlossen, nun werde er sich auf die Wirtschaft konzentrieren.

Die nordkoreanische Gesellschaft wandelt sich

Kim mag viele Gründe für seine Kehrtwende haben - wenn er nicht nur trickst, wie manche US-Experten meinen, im Gegensatz zu Moon, der sagt, Kim meine es ernst. Die Sanktionen spielen höchstens eine nebensächliche Rolle, in Pjöngjang merkt man davon noch nichts, berichten Nordkorea-Reisende. Andrei Lankow von der Kookmin-Universität in Seoul sagt, US-Präsident Donald Trumps Drohungen, Nordkorea eine "blutige Nase" zu verpassen, also eine Militäranlage mit Raketen anzugreifen, habe das Regime erschreckt. Wichtiger als die Außenpolitik ist für das Regime aber, wie sich seine Politik nach innen auswirkt. Das oberste Ziel von Kims Vater und Großvater, und oft das einzige, war es, die eigene Macht zu erhalten. Das dürfte weiterhin so sein.

Die nordkoreanische Gesellschaft wandelt sich. In den Hungerjahren ist eine Marktwirtschaft von unten entstanden, ohne die die Versorgung einbrechen würde. Kim hat die Landwirtschaft liberalisiert. Geld spielt plötzlich eine Rolle. Trotz der Sanktionen wächst die Wirtschaft. Die Elite, etwa ein Viertel der Nordkoreaner, weiß Bescheid über das Ausland, vor allem über Südkorea. Diese Leute haben zwar keine materiellen Sorgen, sie wissen aber, dass sie nicht im Paradies leben. Ihre Kinder studieren an der Kim-Il-sung-Universität, sie haben Mobiltelefone, feiern Partys, sehen südkoreanische Filme. Doch sie sind nicht zufrieden.

Viele möchten reisen. In dieser Gesellschaft, die sich trotz ihrer Isolation modernisiert, genügen Repression, militärisches Muskelspiel und Heiligenlegenden nicht mehr zur Legitimierung der Diktatur. Wenn Kim seine Macht erhalten will, muss er das Leben der Nordkoreaner verbessern. Dazu braucht er das Ausland.

Nordkoreas Armee ist ein Staat im Staat, sie betreibt die Fabriken und Baufirmen, die Soldaten arbeiten wie Sklaven, die Generäle sind Unternehmer. Es ist fraglich, ob Kim die Kraft hätte, der Armee diese Firmen abzuringen. Er könnte aber die Zivilwirtschaft ankurbeln, um den Einfluss des Militärs zu verringern. Schon dafür bräuchte Kim eine Öffnung, Investitionen und Hilfe. Doch das ist mit einem großen Risiko verbunden, besonders für Kim. Aber anders kommt Nordkorea nicht aus der Sackgasse.

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