Süddeutsche Zeitung

Kim Jong-un in Südkorea:Kleine Schritte, große Gesten

  • Beim Treffen zwischen Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in ist eigentlich alles genau geplant.
  • Auf einer Bank bleiben die beiden Staatsmänner jedoch eine halbe Stunde sitzen und unterhalten sich. Danach wirken beide entspannter als vorher.
  • Es ist nicht die einzige ungeplante Geste an diesem historischen Tag.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Ein Tag der Symbole ist dies, der vielsagenden Gesten und hochfahrenden Versprechen. So auch am Nachmittag dieses lauen Frühlingstags, als Kim Jong-un und Moon Jae-in, daran gingen, einen Baum zu pflanzen im Waffenstillstandsdorf Panmunjom. Gemeinsam tun sie das, Nordkoreas so merkwürdiger Machthaber und Südkoreas erst vor knapp einem Jahr ins Amt gekommener Präsident. Natürlich pflanzen sie nicht irgendeinen Baum, es ist eine Kiefer, eine anspruchslose, widerstandsfähige Gattung. "Wir Nordkoreaner mögen Kiefern, weil sie auch im Winter grün sind", sagt Kim. "So sollten auch die Beziehungen beider Koreas werden." Sein Gegenüber stimmt ihm ausdrücklich zu. Aber das hätte er gar nicht einmal tun müssen. Keinem Koreaner entgeht der Fingerzeig: In Korea stehen Kiefern für Stärke und Beständigkeit.

Anschließend sieht das Protokoll vor, dass die beiden einen kurzen Spaziergang machen. Nur zu zweit, eine Sprachbarriere gibt es ja nicht zwischen ihnen. Mit ernsten Gesichtern, der Diktator aus dem Norden beim Gehen etwas steif wippend - sein Gastgeber, der südkoreanische Präsident, wirkt da lockerer - schlendern sie über eine kleine Fußgängerbrücke und setzen sich auf eine Bank. Bis dahin ist alles genau abgezirkelt, der Tee steht schon bereit. Ganz unplanmäßig aber bleiben die beiden dort eine halbe Stunde sitzen, nur Moon nimmt zwischendurch einen Schluck Tee. Von der Gestik her zu urteilen, versucht er, Kim von irgendetwas zu überzeugen. Dieser scheint freundlich Einwände geltend zu machen, hört aber intensiv zu. Einige Male lacht er gelöst. Sollte bei diesem Treffen jenseits aller Symbolik und der Ankündigungen tatsächlich Geschichte geschrieben worden sein, dann in diesem Vieraugen-Gespräch auf einer Gartenbank. Als Kim und Moon sich erheben, wirken sie entspannter als vorher. Bei den wartenden Helfern und Fotografen entschuldigten sie sich, dass sie alle so lange haben warten lassen.

In die "Erklärung von Panmunjom", die Kim und Moon anschließend unterzeichnen, kann dieses Gespräch noch nicht eingeflossen sein. Sie war bereits formuliert. Zur Atomfrage heißt es in der Erklärung vielversprechend, beide Seiten hätten sich auf eine "komplette Denuklearisierung" geeinigt. Was das konkret bedeutet, sagen sie indes nicht. Ist damit Nordkorea gemeint oder gleich die ganze Welt? Auch das in Abrüstungsdingen so wichtige Wort "verifizierbar" fehlt.

Dass die Absichtserklärung so vage bleibt, hatten Experten erwartet. Der japanische Politologe Narushige Michishita meint, Moon überlasse den Durchbruch in dieser Frage bewusst Donald Trump, damit der US-Präsident den Abrüstungserfolg für sich reklamieren könne. Der innerkoreanische Gipfel diene in der Nuklearfrage nur als Sprungbrett zum Trump-Gipfel. "Moon ist gewieft, er weiß genau, dass er Trumps Ego massieren muss, um seine Ziele zu erreichen", sagt ein anderer Korea-Experte, der nicht mit Namen zitiert werden will.

In der gemeinsamen Erklärung verpflichten sich die beiden Koreas ferner, die Teilung und Konfrontation auf der Halbinsel zügig zu überwinden. Sie wollen alle feindlichen Aktivitäten an der Grenze stoppen und einen Friedensvertrag schließen. Zu dessen Vorbereitung regen sie Dreiparteiengespräche mit den USA an. Auch China soll dazukommen.

Kims Bomben sind für Moon wichtig. Doch fast wichtiger ist ihm noch anderes

Die Atomfrage hat für Moon, dessen sozialliberale Partei für die Kommunalwahlen im Juni Erfolge braucht, innenpolitisch wenig Priorität. Bei älteren Wählern macht er eher Punkte mit dem Versprechen, dass Süd und Nord nun "die Blutsbande ihrer Nation wieder knüpfen" wollten und dass die innerkoreanischen Beziehungen auf allen Ebenen neu belebt werden würden. In einer kurzen Rede interpretiert Moon das konkret als Wiederaufnahme der Briefpost. Die ist seit 1953 unterbrochen. Familienzusammenführungen, Tourismus und Kulturaustausch sollen aufgenommen werden, für die Asienspiele dieses Jahr wird eine gesamtkoreanische Mannschaft gebildet. Kim verspricht, er werde künftig regelmäßig mit Moon telefonieren und ihn bei Bedarf auch informell treffen. Im Oktober will Südkoreas Präsident Pjöngjang besuchen. Nachdem die beiden die Erklärung unterzeichnet haben, stehen Kim und Moon auf und umarmen sich. Noch so eine Geste, die nicht im Protokoll stand.

Als Kim am Morgen in Panmunjom auf die Grenze zugegangen war, hatte Moon bereits gewartet. Der erste Handschlag der beiden über die Grenzlinie dauerte fast eine halbe Minute. Moon sagte zu Kim, er sei von weither gekommen, er frage sich, wann er seinerseits Nordkorea besuchen könne. Kim antwortete: "Warum nicht jetzt gleich?" Und die beiden machten Hände haltend einen Schritt über die Grenze nach Nordkorea. Das war die erste ungeplante Geste des Tages.

In der Gesprächsrunde danach, zu der die Staatschefs nur von je zwei Helfern begleitet werden, sitzt Kims Schwester Kim Yo-jong neben dem Diktator. Die 30-Jährige schreibt eifrig mit, auch als er seine vorbereitete Bemerkung abgibt, die beiden Koreas hätten seit ihrem letzten Gipfel elf Jahre verloren. Das dürfe nicht wieder passieren. Sie agiert als seine Stabschefin. Als ein Kind Kim Blumen reicht, springt sie auf, um ihm den Strauß abzunehmen. Vorm Baumpflanzen hilft sie ihm, weiße Handschuhe überzuziehen. Sogar seinen Stuhl schiebt sie zurecht, ehe er sich setzt.

Ein kleiner Junge singt nordkoreanische Weisen, und dem Diktator kommen fast die Tränen

Zu den Gipfel-Delegationen gehören die Außenminister, Geheimdienstleute und hohe Generäle. Wirtschaftsvertreter hingegen sind nicht dabei. Südkoreas Handelsminister kommt erst zum Schlussbankett. Nordkorea erhofft sich von einem Tauwetter Wirtschaftshilfe und Investitionen. In Südkorea warten Unternehmen nur darauf, nach Norden expandieren zu können. Aber der Süden würde, wenn er Kim in Wirtschaftsfragen derzeit entgegenkäme, gegen die UN-Sanktionen verstoßen. Moon gibt sich Mühe, nichts zu tun, was Washington ihm vorwerfen könnte.

60 Atombomben

dürfte Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un mittlerweile in seinem nuklearen Arsenal angehäuft haben. Davon gehen die US-Geheimdienste aus. Unabhängige Experten schätzen die Anzahl indes deutlich geringer.

Bisher spürt Pjöngjang die Sanktionen kaum, wie Besucher berichten. Aber Nordkorea fürchtet, das werde sich bald ändern. Der Warenaustausch mit China, Nordkoreas wichtigstem Handelspartner, ist kollabiert. Im Februar konnte Nordkorea nur noch für neun Millionen US-Dollar Produkte ins Nachbarland exportieren, die Importe sind ebenfalls eingebrochen.

Beschlossen haben Moon und Kim den Gipfel mit einem Bankett, zu dem auch ihre Ehefrauen kommen. Als die beiden am Abend eintreffen, sagt Moon zu Kims Frau Ri Sol-ju, er habe ihren Mann erst am Morgen getroffen, aber sie hätten schon Vertrauen zueinander gefasst. Auch das Bankett ist symbolisch aufgeladen, jedes Gericht hat seine Bedeutung. Zu Ehren Moons gibt es "Naengmyeon", kalte Nudeln aus Buchweizen und Pfeilwurz, eine nordkoreanische Spezialität. Moons Eltern stammen aus dem Norden, sie waren während des Koreakriegs nach Süden geflohen. Als besondere Aufmerksamkeit für Kim singt ein kleiner Junge nordkoreanische Weisen, dabei kommen dem Diktator fast die Tränen. In einer letzten kurzen Rede auf dem Bankett sagt er dann: "Der heutige Tag war nur ein Anfang, in Korea hat der Frühling begonnen."

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SZ vom 28.04.2018/mane
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