Süddeutsche Zeitung

Kim Jong-un in China:Fast schon ein Ritterschlag

Schon viermal hat Nordkoreas Diktator Chinas Präsidenten besucht; bald könnte dieser nach Pjöngjang reisen. Hinter Pekings Charmeoffensive steckt vor allem die Konkurrenz zu Washington.

Von Christoph Giesen und Christoph Neidhart, Peking/Tokio

"Jin Sanpang" - Kim, der Fettsack Nummer drei, so nennen sie ihn, den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un in China. Ein Spitzname, der auch hohen chinesischen Kadern lange Zeit gut gefiel. Sonderlich ernst nahm man Kim in Peking jedenfalls nicht, schon gar nicht Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping. Mehr als sechs Jahre musste Kim auf eine Audienz bei Xi warten. Im vergangenen Frühjahr war es dann so weit. Inzwischen hat Kim China viermal besucht, gerade erst ist er mit seinem gepanzerten Zug wieder zurück. Wenn diese Häufigkeit ein Maß für die Nähe zwischen Pjöngjang und Peking ist, dann müsste man sagen, das Verhältnis war noch nie so gut; zudem Xi laut einem Bericht der amtlichen nordkoreanischen Nachrichtenagentur versprochen hat, Kim demnächst selbst einmal zu besuchen. Eigentlich ein Ritterschlag für den Nordkoreaner.

Doch: Pjöngjangs Blick nach Peking war immer schon ambivalent. Einerseits braucht Nordkorea China. Bevor Peking die jüngsten Sanktionen durchzusetzen begann, gingen 90 Prozent von Nordkoreas Exporten nach China, insbesondere Kohle und Fischereiprodukte. Auch die meisten Importe kamen aus China. Andererseits hat diese Abhängigkeit von China das nordkoreanische Regime stets beunruhigt. Das geht so weit, dass Pjöngjangs Propaganda Chinas Unterstützung im Koreakrieg und die Hunderttausenden gefallenen chinesischen Soldaten leugnet. Dabei ist die Wahrheit: Wenn China sich nicht in den Koreakrieg eingeschaltet hätte, wäre Nordkorea eine kurze Episode der Geschichte geblieben. Nordkorea aber existiert noch immer, vor allem weil es für seine mächtigen Nachbarn das kleinere Übel ist. Die Vereinigten Staaten können mit der Bedrohung durch den Norden ihre massive Militärpräsenz in Südkorea und Japan rechtfertigen, China befürchtet im Falle einer Wiedervereinigung US-Truppen an seiner Grenze.

Um Pjöngjangs Abhängigkeit von China zu lockern, suchte Kims Vater Kim Jong-il zwischenzeitlich den Ausgleich mit Südkorea und Japan - und ihre Wirtschaftshilfe. Zugleich begann er, mit dem Atomprogramm eine Lebensversicherung aufzubauen. Es ist nicht nur Propaganda, wenn das Regime auf Libyen und den Irak verweist, um das Waffenprogramm zu rechtfertigen. Pjöngjang ist fest davon überzeugt, dass der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi erst gestürzt werden konnte, nachdem er sein Atomprogramm aufgegeben hatte. Das sollte Nordkorea nicht passieren, bis Donald Trump US-Präsident wurde.

Die unberechenbare amerikanische Nordkorea-Politik bereitet Peking Sorgen

Vielen Beamten in Peking macht die unberechenbare amerikanische Nordkorea-Politik Sorgen. Erst erzeugte Trump gewaltigen Druck und zwang China so, sich an den schärfsten Sanktionen überhaupt gegen Nordkorea zu beteiligen, selbst einen Krieg hielten manche Spezialisten in China vor noch einem Jahr nicht mehr für ausgeschlossen. Dann die Kehrtwende: Gipfel in Singapur. Kim und Trump, seitdem die angeblich besten Freunde. Auch das ist vielen im chinesischen Apparat nicht recht. Nordkorea ist schließlich Chinas Hinterhof, deshalb setzt Peking nun auf eine Charmeoffensive. Westliche Diplomaten berichten, dass der chinesisch-nordkoreanische Grenzverkehr wieder floriert. Die Sanktionen werden wohl nicht mehr allzu strikt eingehalten, und Nordkoreas Machthaber darf mal wieder zu Besuch kommen.

Kim wiederum versucht - aktiver als sein Vater je - eine neue Äquidistanz zu Peking und Washington aufzubauen, um sein Regime zu sichern. Um seine absolute Macht nach innen zu legitimieren, braucht er Wirtschaftswachstum, also Außenhandel und Investitionen - derzeit vor allem aus China. Ob er tatsächlich bereit ist, dafür seine Atomwaffen aufzugeben, wie er zumindest angedeutet hat, muss sich zeigen. Sicherlich versucht er, es für einen möglichst hohen Preis zu tun. Ginge es nach Pjöngjang, sollte auch Geld aus Seoul fließen.

Der südkoreanische Präsident Moon Jae-in lobte derweil das Treffen zwischen Kim und Xi und deutete es als Hinweis, dass ein zweiter Gipfel zwischen Trump und Kim bevorstehe. Zugleich rief er Nordkorea zu "begleitenden Maßnahmen" und weiteren "Anstrengungen zur Denuklearisierung" auf. Moon wartet förmlich auf das Einverständnis der USA für eine erneuerte Wirtschaftszusammenarbeit mit dem Norden. Dazu muss er sich hinter Washingtons Forderung einer kompletten atomaren Abrüstung stellen, andernfalls würde er die Allianz belasten.

Bisher agierte Moon als Regisseur bei der Entspannungspolitik auf der koreanischen Halbinsel, die Hauptrolle spielt vor allem Kim, den die Chinesen noch vor einem Jahr verspotteten. Vor den Olympischen Spielen öffnete Moon Südkorea den Avancen des Nordens, im April traf er Kim zu seinem ersten Gipfel. Zum ersten Treffen zwischen Kim und Trump zog Moon im Hintergrund die Fäden, seine Vertreter brauchten Kims Einladung nach Washington. Zwar haben die beiden Koreas auch schon konkrete Maßnahmen getroffen, wie eine Abrüstung an der innerkoreanischen Grenze. Ansonsten jedoch gab es bisher vor allem symbolische Gesten.

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SZ vom 11.01.2019
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