Süddeutsche Zeitung

"Kill Team": Horrorbilder:"Es könnte schlimmer werden als Abu Ghraib"

Die Bilder der ermordeten afghanischen Zivilisten könnten bald von Islamisten ausgeschlachtet werden. Die dschihadistische Propaganda-Arbeit im Netz lässt sich nicht verhindern - aber es existieren Gegenstrategien.

Matthias Kolb

Das US-Militärtribunal verlor keine Zeit, das Urteil kam schnell: Der Soldat Jeremy Morlock, der gestanden hatte, drei afghanische Zivilisten getötet zu haben, wurde zu einer Haftstrafe von 24 Jahren verurteilt. Morlock gehörte zu jener Gruppe aus fünf US-Soldaten, die sich während ihres Einsatzes in Südafghanistan als "Kill Team" bezeichnet hatten und aus Mordlust Zivilisten töteten. Sie schnitten den Leichen Körperteile als Trophäen ab und posierten für Bilder und Videos. Drei der 4000 Aufnahmen wurden in der aktuellen Ausgabe des Spiegels veröffentlicht und sorgten in Europa und Amerika für Diskussionen - und nicht nur die US-Reporterlegende Seymour Hersh fürchtet ein zweites Abu Ghraib.

Die Dschihadisten im Internet lassen sich hingegen Zeit, die schockierenden Bilder für ihre Zwecke zu nutzen. "Bisher haben wir auf den Websites noch nichts gesehen, aber das ist nur eine Frage der Zeit", berichtet Asiem El Difraoui. Der Politiloge forscht bei der Stiftung Wissenschaft und Politik über "Dschihadismus im Internet und die Internationalisierung von Gewaltdiskursen im World Wide Web" und beobachtet seit Jahren die einschlägigen Websites.

Die drei bisher veröffentlichten Bilder passen genau in jenes "große Narrativ", welches das Terrornetzwerk al-Qaida verwendet. "Es geht um die globale Konspiration von Amerikanern, Zionisten und deren Alliierte gegen die Muslime: Die Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak dienen nicht dem Schutz der Zivilisten oder der Demokratisierung, sondern der Unterdrückung der Muslime", erklärt El Difraoui im Gespräch mit sueddeutsche.de.

Die Bilder von gefolterten Gefangenen in Abu Ghraib - jener Skandal, den Seymour Hersh 2004 aufdeckte - hätten unter Arabern für solch große Empörung gesorgt, weil die Iraker erniedrigt wurden, erläutert El Difraoui: "Dass die Gefangenen mit Hunden gezeigt und von Soldatinnen genötigt wurden, wirkte in diesem Kulturkreis besonders entwürdigend." Es ist noch nicht bekannt, was auf den weiteren knapp 4000 Bildern des "Kill Teams", die unter Verschluss gehalten werden, zu sehen ist. El Difraoui ist überzeugt: "Es könnte schlimmer werden als Abu Ghraib, denn hier handelt es sich um Mord aus Zeitvertreib."

Jeremy Morlock, der sich der US-Militärjustiz als Kronzeuge zur Verfügung stellte, hatte in seinem Prozess gestanden, dass er und seine Kameraden bereits Wochen vor der ersten Tat angefangen hätten, die Morde vorzubereiten. Um sie als "legitimate kill" zu rechtfertigen, hätten sie geplant, Waffen neben den Toten zu platzieren. Der 22-Jährige gestand: "Der Plan war, Menschen zu töten."

Weil die Existenz der Bilder dort offenbar noch nicht bekannt ist, kam es in Ländern wie Afghanistan, Pakistan oder Bangladesch noch nicht zu antiamerikanischen Protesten. El Difraoui hat zwei mögliche Erklärungen: Entweder hätten die Al-Qaida-Kommunikationsleute technische Probleme oder die Umwälzungen in der arabischen Welt sorgten beim Terror-Netzwerk für andere Prioritäten. "Die friedlichen Revolutionen in Ägypten und Tunesien passen überhaupt nicht in ihr Narrativ", erläutert der SWP-Experte. Mit Gewalt habe al-Qaida nichts Vergleichbares erreicht und nicht nur US-Präsident Barack Obama sieht im arabischen Frühling die beste Gegenerzählung zur dschihadistischen Propaganda. Die neuen Bilder aus Afghanistan könnten jedoch auch in Westeuropa ihre Wirkung zeigen. "Solches Material ist ein wichtiger Radikalisierungsfaktor", bilanziert El Difraoui. Der 22-jährige Arid U., der vor wenigen Wochen zwei US-Soldaten am Frankfurter Flughafen erschoss, soll als Auslöser für seine Attentatspläne ein Video genannt haben, auf dem ein US-Soldat muslimische Frauen vergewaltigt. Allerdings ist das Internet-Material selten der alleinige Auslöser: Wichtigster Faktor bleibt der persönliche Kontakt zu einem Gefährder. Dies kann laut El Difraoui ein radikaler Scheich sein - oder ein Freund oder Familienmitglied, der den Religionssuchenden erklärt, warum es wichtig ist, am Dschihad teilzunehmen.

Seit Mitte der neunziger Jahre hat sich ein dschihadistischer Propaganda-Apparat im Cyberspace etabliert, der vor allem auf Emotionen setze. Bilder wirken eben stärker als Buchstaben. Zudem suchen die Islamisten laut El Difraoui überall nach geeignetem Material: "Sie machen eine systematische Medienbeobachtung und benutzen etwa Ausschnitte aus kritischen Dokumentationen über al-Qaida für ihre Zwecke."

Gemeinsam mit Guido Steinberg von der SWP hat Asiem El Difraoui die Herausforderung des Cyber-Dschihads in einem Aufsatz für die Zeitschrift Internationale Politik zusammengefasst. Ihr Fazit: "Heute ist es praktisch unmöglich, ihre Präsenz im Netz zu zerstören - doch mit den richtigen Strategien kann der Verbreitung des E-Dschihads zumindest entgegengewirkt werden."

Sie empfehlen den Behörden, den Zugriff auf entsprechende Sites zu erschweren, um ihre Zahl zu verringern. So ließe sich die Zahl der radikalen Sympathisanten reduzieren. Eine gewisse Zahl radikaler Seiten müsse toleriert werden, um "Propagandaentwicklung und Ideologie beobachten zu können". Indem man die Diskussionsforen infiltriere, lasse sich eine Radikalisierung ebenfalls vermeiden. Dabei gehe es nicht nur um Desinformation: Denkbar sei auch, einzelne Mitglieder gezielt in Diskussionen zu verwickeln.

Die Dschihadisten seien technisch auf der Höhe und verbreiteten ihre Video- und Audio-Botschaften mit großer Geschwindigkeit: Das Propagandamaterial werde von Sympathisanten heruntergeladen und per E-Mail an Hunderte Empfänger und Webseiten verschickt. Wenn es Behörden gelingt, manche Sites vom Provider sperren zu lassen, dauere es nur wenige Stunden, bis sie an anderer Stelle oder mit anderen Namen auftauchen.

Zudem sind die Cyber-Dschihadisten auch in sozialen Netzwerken wie Facebook oder auf Youtube aktiv. Dafür gibt es einen simplen Grund, wie der Terror-Experte Evan Kohlmann im Oktober 2010 der Süddeutschen Zeitung verriet: "Mit zunehmender technischer Qualität verbrauchen die hochauflösenden Videos zu viel Speicherplatz auf den Servern der Terroristen." Vielleicht lässt sich so erklären, weshalb die Bilder noch nicht auf den einschlägigen Websites gelandet sind.

Für die nahe Zukunft lässt sich nichts Gutes ahnen: Im Jahr 2011 ist es nur eine Frage der Zeit, bis einige der 4000 Aufnahmen im Internet auftauchen, welche der Spiegel-Redaktion vorliegen. In Hamburg hält man die Aufnahmen für so schockierend, dass sie "der Öffentlichkeit kaum zuzumuten" seien. Ein Satz im Enthüllungs-Artikel lässt die Tragweite erahnen: "Diese Bilder sind womöglich noch ein wenig abstoßender als die von Abu Ghraib. Die dokumentierten die nonchalante Verachtung für die Würde der gefangenen Iraker; die Bilder vom Kill Team dokumentieren die nonchalante Verachtung für das Leben der Afghanen."

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