Als Oskar Lafontaine hinwarf, da weinte er. Torsten Albig, der Sprecher des Finanzministers, stand am Abend des 11. März 1999 fassungslos da. Schrecklich sei das, sagte er damals, er müsse das erst mal verarbeiten.
Es klang so, als sei plötzlich jemand aus der Familie gestorben. Albig, der frisch gewählte Oberbürgermeister von Kiel, bezeichnet sich heute als "eher konservativen Sozialdemokraten", damals war er ein überzeugter Lafontaineianer. Er gehörte zum innersten Machtzirkel, den Lafontaine im Kampf gegen Gerhard Schröder und die journalistischen Nicht-Versteher in Bonn um sich geschart hatte.
Es war eine undankbare Aufgabe, denn die Finanzjournalisten misstrauten Lafontaine, und dieser misstraute der Presse. Gelegentlich griff Albig dann im Auftrag seines Chefs zum Hörer, um Journalisten zu beschimpfen. Meistens aber erklärte er freundlich und wortgewandt, wie Lafontaines Welt funktionierte.
Albig gehört zu jenen Menschen, die wissen, wie man Politik verkauft. Einerseits kennt er sich bestens aus in komplizierten Gesetzen. Als Mitarbeiter der SPD-Parteizentrale entwarf er zum Beispiel vor dem Regierungswechsel im Herbst 1998 die rot-grüne Steuerreform. Andererseits kann Albig vertrackte Dinge ganz einfach erklären.
Er hat dies für drei Finanzminister getan: erst für Lafontaine, später für Hans Eichel, der ihn im März 1999 zum Verbleib im Ministerium überredete, und schließlich für Peer Steinbrück. Zwischendurch war Albig kurze Zeit Sprecher der Dresdner Bank, doch nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt wurde das Kreditinstitut von der Allianz aufgekauft. Danach ging er für drei Jahre als Kämmerer nach Kiel.
Amerikanischer Wahlkampf
In den vergangenen vier Wochen sprach Albig dann ausschließlich in eigener Sache: Der 45-Jährige war angetreten, um in Kiel das Amt des Oberbürgermeisters für die SPD zurückzuerobern. Und er setzte sich gleich im ersten Wahlgang gegen die Amtsinhaberin Angelika Volquartz (CDU) mit 52,1 Prozent durch.
Albig führte einen Wahlkampf, wie man ihn eher aus Amerika kennt und schuf dazu seine eigene Marke. Auf den Marktplätzen - und auch auf Albig-Comics im Internet - trug er stets den gleichen schwarz-grau-gestreiften Schal.
Seine Anhänger bediente er im Stundentakt über den Kurznachrichten-Kanal Twitter und andere soziale Netzwerke; einen Teil seiner Wahlkampftexte ließ er auch ins Türkische übersetzen. Der ganz große Auftritt gehörte ebenso dazu: Sein Chef Steinbrück kam gleich mehrmals nach Kiel, um den Sprecher zu unterstützen, ebenso Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier. Die Rivalin von der CDU ließ daraufhin Angela Merkel kommen.
Albig wohnt künftig wieder dort, wo er sich, wie er sagt, am wohlsten fühlt: nicht mehr in Berlin, sondern in seiner Heimatstadt, wo auch seit jeher seine Familie zu Hause ist. Das Amt des Oberbürgermeisters sei das höchste auf der politischen Karriereleiter, bei dem man noch Bezug zur Realität habe, sagt er.
Doch Albig ist zuzutrauen, dass er irgendwann noch mehr will. Auch zwei der drei Bundesfinanzminister, für die er mal gesprochen hat, waren schließlich einst Oberbürgermeister: Lafontaine in Saarbrücken, Eichel in Kassel.