Süddeutsche Zeitung

Fall Khashoggi:Fünf Todesurteile und viele Fragen

  • Fünf Männer werden wegen des Mordes an Jamal Khashoggi zum Tode verurteilt.
  • Die Umstände aber sind fragwürdig - die Namen der Verurteilten etwa nennt Riad nicht.
  • Die Hauptverdächtigen aus der saudischen Elite kommen hingegen frei.

Von Dunja Ramadan

Die saudische Staatsanwaltschaft hat am Montag zu einer Pressekonferenz in die Hauptstadt Riad geladen. Das macht sie nur, wenn sie wirklich muss. Der Fall des ermordeten Washington-Post-Publizisten Jamal Khashoggi bringt das Königreich seit mehr als einem Jahr in Erklärungsnot. Der Regimekritiker wurde im Oktober 2018 von einem Mordkommando im saudischen Konsulat in Istanbul getötet.

Nun hat Shalaan al-Shalaan, stellvertretender Generalstaatsanwalt, verkündet, dass im Fall Khashoggi fünf Menschen zum Tode verurteilt werden. Dabei nennt er keine Namen, sondern spricht nur von "Beteiligten" und schickt einen Segensspruch hinterher: Möge Gott ihn, Khashoggi, selig haben. Drei weitere Personen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Auch hier: keine Namen. Eine Untersuchung habe ergeben, so sagt al-Shaalan, dass "zu Beginn dieser Mission keine vorherige Absicht zum Töten bestand". Warum der saudische Forensiker Salah Mohammed al-Tubaigy nach Istanbul flog und als Mitglied eines 15-köpfigen Mordkommandos im Konsulat auf Khashoggi wartete, erklärte al-Shaalan an dieser Stelle nicht.

Mit diesem Resümee übergeht Saudi-Arabien die Erkenntnisse der vergangenen Monate: Die UN-Sonderberichterstatterin Agnès Callamard, die im Juni ihren knapp 100-seitigen Bericht zum Mord an Khashoggi veröffentlichte, spricht von einer "vorsätzlichen Tötung". Sie bezieht sich auf Tonmitschnitte, die der türkische Geheimdienst aufgenommen haben soll. Darin sind Unterhaltungen der Agenten zu hören, die belegen, dass die Tat geplant war. "Ist das Opfertier eingetroffen?", soll etwa der Geheimdienstagent Maher Mutreb gefragt haben.

Nach Callamards Einschätzung ist es nicht glaubhaft, dass die Agenten ohne die Kenntnis des Kronprinzen Mohammed bin Salman entsendet wurden. Dieser hatte zwar im September in der US-Sendung "60 Minutes" eine politische Verantwortung für die Tat eingeräumt. Er habe den Mord aber weder in Auftrag gegeben noch von ihm gewusst.

Die UN-Berichterstatterin nennt das Urteil vom Montag eine "Farce". "Zu suggerieren, dass die Mörder spontan entschieden, Körper zu zerstückeln, ist vollkommen lächerlich. Verstümmelung erfordert ein Mindestmaß an Planung", sagt Callamard. 18 Vertreter der saudischen Regierung hätten Spuren der "außergerichtlichen Hinrichtung" im Konsulat über zehn Tage verwischt und die Justiz damit behindert, so Callamard. Die Leiche von Khashoggi ist bisher nicht aufgetaucht.

Der Prozess gegen elf Verdächtige hatte im Januar in Riad begonnen. Journalisten wurden in den neun Sitzungen nicht zugelassen. Offiziell gab es keine Informationen, wer überhaupt auf der Anklagebank sitzt. Umso überraschender sind nun die Namen, die angeblich nichts mit dem Mord zu tun haben.

Um den Schein der Pressekonferenz zu wahren, tritt am Montag ein ziemlich aufgeregt wirkender saudischer Journalist ans Mikro und fragt: "Was ist mit dem Berater Saud al-Qahtani, wurde er verhört?" Al-Shalaan bejaht seine Frage, erklärt aber, dass gegen den PR-Berater des Kronprinzen keine ausreichenden Beweise vorlägen. Genauso wenig gegen den ehemaligen Vizechef des Geheimdienstes Ahmad bin Hassan al-Asiri. Auch der saudische Generalkonsul in Istanbul, Mohammed al-Otaibi, sei unschuldig und auf freiem Fuß.

Dies zeigt, dass Riad mit dem Fall abschließen will - und sich über die aktuelle Beweislast hinwegsetzt. Qahtani und Asiri waren enge Berater bin Salmans. Das Königshaus machte beide im Oktober 2018 als Drahtzieher verantwortlich und ließ sie feuern. Nach offizieller Darstellung soll Asiri das Agententeam zusammengestellt haben, der 67-Jährige war als Militärsprecher das Gesicht des Jemenkrieges. Qahtani bekämpfte Oppositionelle online, er rief seine Anhänger dazu auf, sie auf eine "schwarze Liste" zu setzen. Seit dem Mord ist der 41-Jährige verschwunden.

Welche fünf Männer nun eigentlich zum Tode verurteilt werden, könnte ein Blick in den UN-Bericht verraten. Dort wurde erstmals die Identität der Personen gelüftet, denen die Todesstrafe droht. Demnach sind das jene Agenten, die sich über die Beseitigung des Leichnams unterhalten hatten, bevor Khashoggi an jenem Oktobertag ins Konsulat kam.

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SZ vom 24.12.2019/bepe
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