Türkei:Wie Erdoğan versucht, den Fall Khashoggi für sich zu nutzen

In der Affäre um den getöteten Journalisten geriert sich der türkische Staatschef als Aufklärer. Gleichzeitig will er mit Saudi-Arabien nicht brechen. Doch diese Strategie offenbart Schwächen.

Kommentar von Luisa Seeling

Jamal Khashoggis Tod dürfte die türkische Führung aufrichtig erschüttern. Der saudische Publizist hatte Verbindungen in höchste Regierungskreise; als er verschwand, verständigte seine Freundin einen Berater des türkischen Präsidenten. Die mutmaßliche Ermordung Khashoggis im saudi-arabischen Konsulat ist außerdem ein Affront für Ankara. Eine derart dreiste Tat mitten in Istanbul lässt die türkische Regierung schwach aussehen.

Zugleich ist die Affäre außenpolitisch nützlich für Erdoğan. Gerade im Westen ist sein Ansehen schwer angeschlagen, dort gilt er vielen als launischer, zuweilen erratischer Autokrat, der Oppositionelle einsperren lässt. Nun aber soll ein saudisches Killerkommando einem Dissidenten mit der Knochensäge zu Leibe gerückt sein; da erscheint der türkische Staatschef gleich in milderem Licht. Statt des Unterdrückers darf er den Aufklärer geben. Gerade hat er nach Monaten des Streits mit US-Präsident Donald Trump telefoniert. Das ist noch keine Reparatur des Verhältnisses, als Gesprächspartner aber ist Erdoğan wieder gefragt.

Auch regionalpolitisch versucht die Türkei, die Affäre zu nutzen. Ankara und Riad sind Rivalen, beide beanspruchen eine Führungsrolle der sunnitisch-islamischen Welt. Seit dem Aufstieg des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman haben sich die Spannungen verschärft. Nach Khashoggis Verschwinden versuchte es die türkische Führung mit einer Doppelstrategie: Medien verbreiteten Ermittlungsdetails, die den Prinzen als Schurken wirken ließen. Offiziell aber hielt sich Ankara mit Schuldzuweisungen zurück. Saudi-Arabien ist nicht nur Konkurrent, sondern auch potenter Investor, mit dem die Türkei in wirtschaftlich instabilen Zeiten nicht brechen will.

Heute ist die türkische Außenpolitik geprägt von Ambivalenz

Kurzfristig mag diese Strategie aufgehen. Zugleich legt sie eine grundlegende Schwäche der türkischen Außenpolitik offen: Innenpolitische, ideologische und wirtschaftliche Erwägungen laufen kreuz und quer zueinander. Vor einigen Jahren, als Erdoğan noch nicht allmächtig war und seine AKP noch als Vorbild für die islamische Welt galt, hatte sich die türkische Außenpolitik ein klares Ziel gesetzt. Unter dem Motto "null Probleme mit den Nachbarn" verfolgte sie eine Politik des Ausgleichs mit den Staaten der Region. Westbindung sollte mit einer stärkeren Hinwendung nach Osten kombiniert werden. Dieser Ansatz war nicht frei von Widersprüchen, aber es gab einen roten Faden: die Überzeugung, dass sich regionale Befriedung langfristig auszahlt.

Heute ist die türkische Außenpolitik geprägt von Ambivalenz, Interessensgegensätzen, abrupten Volten. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat die Beziehungen zu Europa und Deutschland fast ruiniert, erst im letzten Moment steuerte er halbherzig um. Mit der Verhaftung des Pastors Andrew Brunson suchte er Streit mit den USA, musste aber einlenken, als der wirtschaftliche Druck zu groß wurde. Erdoğan sucht den Bund mit Russland, doch dieses Bündnis ist fragil, weder kann es den Handel mit Europa ersetzen, noch Stabilität in der Region schaffen.

Erdoğan wirkt wie ein Getriebener. Doch im Fall Khashoggi ist er es, der die Saudis in die Enge treibt. Er verlässt sich auf seinen taktischen Instinkt. Wie er sein Land langfristig positionieren will, wie eine türkische Außenpolitik für die nächsten zehn Jahren aussehen könnte - das ist auch nach Khashoggi völlig offen.

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