Katz und Maus. Fang mich, wenn du kannst. Barrikaden bauen, Reifen anzünden, Slogans singen. Und rennen, wenn Truppen um die Ecke kommen, mit Pick-up-Wagen, Maschinengewehren und Granatwerfern. Demonstranten in Khartum singen: "Burhan ist schmutzig, die Islamisten haben ihn geschickt". Oder: "Die Armee gehört dem sudanesischen Volk und nicht Burhan." So haben Zehntausende Frauen und Männer, wie Augenzeugen und Videos belegen, in diesen Tagen gegen den Putsch protestiert, vor allem in der 60. Straße in der Hauptstadt Khartum.
Angeführt werden die verhassten Truppen von General Abdel Fattah al-Burhan, einem Mann mit Schnurrbart, der in sauber gebügeltem Camouflage auftritt und ein Barett auf dem Kopf trägt. Burhan ist das Gesicht des Coups, gegen ihn richtet sich die Wut vieler Jugendlicher. Aber es marschierten auch Frauen mit ihren Kindern, ältere Herren in Anzügen, es ist eine breite Bewegung gegen den Putsch.
An diesem Donnerstag soll es weitere Demonstrationen geben. "Es ist schon eine große Entschlossenheit zu spüren", sagt Christine Roehrs, Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Khartum. "Manche aber wirken auch erschöpft", sagt sie. Zwei Jahre lang haben zivile Kräfte für die Demokratisierung gekämpft, nun haben sie das Gefühl, dass der Putsch alles zunichte macht, was sie bereits erreicht hatten. Zurück auf Los in Khartum.
Armeeeinheiten patrouillieren, doch nicht nur reguläre Truppen sind unterwegs, wie der Sudanese Albaqir Mukhtar am Telefon erzählt. Mukhtar, der eine Initiative für Konfliktbewältigung leitet, war viel auf den Straßen Khartums unterwegs und ist auf Milizionäre der Rapid Support Forces (RSF) gestoßen. Diese berüchtigte Truppe wiederum befehligt ein anderer Mann: Mohamed Hamdan Dagolo, als Hemeti bekannt. "Kleiner Mohamed" heißt das, in Anspielung auf sein Babyface.
Goldgeschäfte eines Kriegsherrn
Hemetis Karriere lässt für Niedlichkeiten allerdings wenig Raum. Er gilt als skrupelloser Kriegsgewinnler, der im Konflikt um Darfur Reichtümer angehäuft hat. Burhan und Hemeti gelten einerseits als Rivalen. Andererseits haben sie bei diesem Putsch eng kooperiert und so jenes fragile politische Arrangement zerschlagen, das den Weg für eine Demokratisierung im Sudan ebnen sollte.
Nach dem Sturz des langjährigen Diktators Omar al-Baschir 2019 hatten Armee und zivile Kräfte vereinbart, in einer Übergangsregierung zusammenzuarbeiten, doch Burhan ließ am 25. Oktober den zivilen Premier verschleppen und später unter Hausarrest stellen. Abdalla Hamdok ist ein Technokrat, kein Charismatiker; dennoch feiert die Jugend ihn nun als Helden. "Dass er eingesperrt ist, macht Hamdok zur Ikone der Freiheitsbewegung, so wie es Aung San Suu Kyi in Myanmar geworden ist", sagt der Friedensaktivist Mukhtar.
Viele Leute wollen Hamdok zurückhaben; vor allem aber wollen sie nicht von korrupten Generälen regiert werden, sondern ihre Politiker selbst wählen. Für diese Freiheit haben sie schon in ihrer Revolution 2019 gekämpft, die den Sturz Baschirs einleitete. "Die Leute haben es einfach satt, dass eine kleine Clique alles bekommt, und der Rest nichts", sagt ein Mann in Khartum. "Für uns gibt es kein Zurück mehr, mit dem Militär haben wir keine Zukunft." Die Generäle, sagt er, hätten jedes Vertrauen verspielt.
Die Sudanesin Mai Shatta war noch vor dem alten Baschir-Regime geflohen, die Computerspezialistin kam 2012 nach Deutschland. Ihre Stimme am Telefon ist brüchig, sie versucht sich zu fassen, aber ihre Gedanken sind ständig in ihrer Heimat Sudan, wo die Familie gerade einen Verwandten zu Grabe getragen hat. Trauern in der Ferne ist schwer, Shatta hat einen ihrer Cousins verloren, er war erst 20 Jahre alt. Mutmaßlich erschossen von jenen Kräften, die diesen Putsch mit allen Mitteln verteidigen.
Auch Frauen, sagt Shatta, erleiden viel Gewalt, sie erzählt von Angriffen auf ein Studentenwohnheim. In einem Video filmt sich eine blutüberströmte Sudanesin selbst und erzählt mit zitternder Stimme, wie sie gerade von Soldaten verprügelt worden sei. Wozu die Truppen fähig sind, ist bekannt. Im Juni 2019 kam es zu einem Massaker unter Demonstranten, bei dem mehr als 100 Menschen starben und Dutzende vergewaltigt wurden.
Wer gab damals die Befehle? Eine Kommission sollte das in Khartum untersuchen, doch auch sie ist aufgelöst worden von den Putschisten. Wer in der Vergangenheit des Militärs gräbt, ist unweigerlich damit beschäftigt, schwerste Verbrechen aufzuklären, bis hin zu Vorwürfen des Völkermords in Darfur. Omar al-Bashir soll deshalb an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgeliefert werden. Nach seinem Sturz kam er ins Gefängnis, aber es ist ein offenes Geheimnis, dass die Armee eine Auslieferung nicht favorisiert.
Burhan hat einst in Darfur gekämpft, Hemeti ist dort als arabischer Milizenführer groß geworden. Als Kriegsherr wurde er mächtig, außerdem handelt er mit Gold, in Darfur hat er sich die Kontrolle über eine der lukrativsten Minen erkämpft. Hemetis Truppe RSF ging aus Reitermilizen hervor, die früher in Darfur wüteten. Das waren die Dschandschaweed, "Teufel zu Pferde". Man konnte sie auch auf Kamelen reiten sehen. Für Omar al-Bashir waren sie nützlich, um die Drecksarbeit für das Regime zu erledigen, viele Massaker werden ihnen angelastet.
Baschir ist weg, aber sein "tiefer Staat" ist noch da
Von Hemeti sei derzeit nichts zu sehen, berichten Bewohner von Khartum, die trotz Blockade des Internets Wege finden zu telefonieren. Sie erzählen von Schüssen auf den Straßen, mindestens 14 Tote sind bestätigt und mehr als 140 Verletzte. Ein Video, das eine sichere Quelle aus Khartum übermittelt, zeigt Szenen an einer Straßenkreuzung, man hört Salven von Gewehrfeuer und sieht Demonstranten vor Truppen fliehen.
Doch vom Kommandeur Hemeti keine Spur, er hält sich bedeckt. Sudan-Spezialisten sehen in ihm den wahren starken Mann hinter dem Putsch, den das Land nicht mehr so leicht loswerden wird.
Viele haben den Eindruck, dass die alten Netzwerke, die Omar al-Baschir zum Machterhalt einsetzte, immer noch weitgehend intakt sind, vor allem der "tiefe Staat". Bestens trainierte Geheimdienstler, die zu Baschirs Zeiten Regimekritiker verfolgten und folterten. Doch auch sie konnten die Volksbewegung 2018 nicht mehr stoppen, die sich in sogenannte Nachbarschaftskomitees gliedert und sehr planvoll vorgeht. Demonstrationen, Streiks, ziviler Ungehorsam, mit diesen Mitteln bieten sie der Armee nun die Stirn.
"Jede junge Frau und jeder junge Mann in Khartum wird von der Armee inzwischen als Feind gesehen", sagt Mukhtar. Vor wenigen Tagen hat er selbst erlebt, wie sie Einzelne herauspicken und vor den Augen aller erniedrigen. Eine Gruppe Soldaten stoppte gegen ein Uhr mittags einen Bus und zog wahllos einen jungen Mann heraus. Er musste niederknien. Dann schoren sie ihm mit einem Messer den Kopf und jagten ihn davon. "Das ist für einen jungen Mann im Sudan eine schlimme Demütigung", sagt Mukhtar.
In einem anderen wackeligen Video ist zu sehen, wie eine Gang uniformierter Männer eine Familie umringt, sie schwingen drohend ihre Schlagstöcke. Was gesprochen wird, ist nicht zu hören, aber es ist offenkundig, dass sie es auf den Jugendlichen in der Familie abgesehen haben; die Älteren versuchen, ihn abzuschirmen. Mukhtar schaut sich das immer wieder an und sagt: "Diese Soldaten umkreisen die Familie wie die Hyänen."