US-Repräsentantenhaus:13 Blamagen im Kapitol

US-Repräsentantenhaus: Er bleibt beschädigt, so oder so: Der Republikaner Kevin McCarthy ist Spielball der Hardliner unter seinen Parteikollegen.

Er bleibt beschädigt, so oder so: Der Republikaner Kevin McCarthy ist Spielball der Hardliner unter seinen Parteikollegen.

(Foto: Jose Luis Magana/AP)

Eine kleine Zahl von republikanischen Abgeordneten verweigert Kevin McCarthy weiterhin die Wahl zum Sprecher im Repräsentantenhaus. Wer sind diese Parlamentarier? Und warum finden sie Vergnügen daran, die USA lächerlich zu machen?

Von Peter Burghardt, Washington

Draußen demonstrieren besorgte Veteranen der US Army, als sich im Kapitol wieder die Rebellen formieren. "Ehre deinen Eid", steht auf ihren Plakaten vor dem Kapitol, und "Setzt der politischen Gewalt ein Ende". Die ehemaligen Soldatinnen und Soldaten auf der Wiese erinnern an den 6. Januar 2021, als Hooligans aus dem Fanklub von Donald Trump den Kongress stürmten und die amerikanische Demokratie verwüsten wollten. Nun fürchten die Veteranen, dass sich auf dem Capitol Hill gerade der nächste Sturm zusammenbraut an diesem frühlingshaften Wintertag in Washington D.C., an dem abends der Vollmond über der Kuppel leuchten wird.

Drinnen geht derweil ein Machtkampf in die nächsten Runden, wie ihn die Vereinigten Staaten von Amerika seit dem Bürgerkrieg nicht mehr erlebt haben. Seit Dienstag versuchen 434 Abgeordnete (gerade sind es wegen einer Absenz 433), den Sprecher des Repräsentantenhauses zu wählen. Doch der Republikaner Kevin McCarthy scheitert Wahlgang für Wahlgang, obwohl seine Partei seit den Zwischenwahlen im November wieder die Mehrheit hat, 222 Sitze. In zunächst 13 Wahlgängen schafft es McCarthy nicht, die nötigen 218 Stimmen zu sammeln, erst am Freitagabend nähert er sich seinem Sieg. Die enorme Verzögerung liegt an Leuten, von denen nicht nur die früheren Militärs vor dem Kapitol Schlimmes befürchten.

Gemäßigte Republikaner nennen die Abweichler "Kamikaze" oder "Taliban 20"

Dazu gehören gewählte Politiker, die Joe Bidens Wahlsieg von 2020 leugnen, den Angriff auf den Kongress nicht so schlimm fanden oder teilweise indirekt unterstützten, das Establishment verachten und Feuerwaffen mehr lieben als Klimaschutz und Gesundheitsprogramme. Es sind zunächst 20 Abweichler und dann noch sechs oder sieben, wobei das Wort Abweichler eventuell zu schwach ist. Vor allem ihr harter Kern will offenbar erpressen, provozieren, eine Institution lächerlich machen - und auffallen. Bisher gelingt das bis in dieses Wochenende hinein. Solche Verzögerungen wurden zuletzt vor 164 Jahren dokumentiert.

Welche Volksvertreter also finden Vergnügen daran, die parlamentarischen USA lahmzulegen und als Weltmacht zu blamieren? Von gemäßigten Republikanern bekommen sie Namen wie "Kamikaze" oder "Taliban 20". Selbst Sean Hannity von Fox News fragt, ob dies eine Gameshow sei. Schaut man sich das Halbrund im Plenum von der Pressetribüne aus an, dann sitzen diese Mandatsträger auf den braunen Ledersesseln am rechten Rand der Republikaner, in den Reihen sieben und acht, schön beisammen. Sie sind hier und auch im Fernsehen nicht zu übersehen, denn sie klatschen als einzige wie verrückt, wenn wieder einer von ihnen einen skurrilen Auftritt hat.

Da wäre zum Beispiel Lauren Boebert, die ihren Wahlkreis in Colorado zwar kürzlich nur mit minimalem Vorsprung verteidigt hat, aber nun ans Mikrofon tritt. Die Republikanerin empfiehlt für Runde neun vollmundig ihren vorläufig dritten Rivalen von McCarthy, diesmal den unbekannten Kevin Hern aus Oklahoma. "Wir können einen glücklichen Krieger haben, der uns führt", sagt sie, wohlwissend, dass dieser Mr. Hern nicht die geringste Chance hat. Sie stellt ihn wie zuvor Jim Jordan und Byron Donalds nur auf, um McCarthy zu schaden. "Kevin McCarthy hat nicht die Stimmen", verkündet sie strahlend. "Es wird nicht passieren." Chaos sei das, "ich liebe es." "Der Kongress ist kaputt und braucht eine fundamentale Wende."

US-Repräsentantenhaus: Lauren Boebert bei ihrer Rede.

Lauren Boebert bei ihrer Rede.

(Foto: WIN MCNAMEE/Getty Images via AFP)

Boebert ist 36 Jahre alt, mag die irre Bewegung QAnon, sieht sich als wiedergeborene Christin und lehnt die Trennung von Staat und Kirche ab. Aufgefallen war die Frau bisher vor allem deshalb, weil sie sich bevorzugt mit Gewehr oder Pistole zeigt und dafür wirbt, diese möglichst überall offen tragen zu können. Mit ihrem Mann besaß sie bis zum vergangenen Sommer ein Restaurant namens Shooters Grill, in dem bewaffnetes Personal ausdrücklich erwünscht war. Sie postete auch mal ein Video, in dem sie eine Glock am Gürtel verstaut und durch Capitol Hill spaziert. In der Hauptstadt sind sichtbare Waffen für Zivilisten verboten, Boebert wollte ihre aber auch ins Parlamentsbüro mitbringen. Sie begrüßt es jetzt sehr, dass der unter Sprecherin Nancy Pelosi auch wegen ihr installierte Metalldetektor für Abgeordnete wieder abgebaut wurde.

Dann, soeben haben Republikaner auch für die elfte Abstimmung wieder McCarthy aufgestellt und Demokraten Hakeem Jeffries, meldet sich strahlend der Republikaner Matt Gaetz. "Ich nominiere den Präsidenten Donald Trump, weil wir Amerika wieder groß machen müssen, und er kann damit beginnen, das Repräsentantenhaus wieder groß zu machen." Kleiner Scherz. Make America Great Again, kurz Maga, das gefällt Gaetz.

Der 40-jährige Hardliner bezeichnet McCarthy als "Gefäß für Lobbyisten", auch wenn er daheim in Florida selbst Lobbyisten nahesteht. Er meint, die Stadt Washington müsse sich ändern, "und wir werden sie so oder so ändern." Gaetz gilt seit Jahren als treuer Trump-Freund, kennt ebenfalls eine Menge legaler Probleme und weicht intriganten Aktionen ungern aus. Er hat bereits vorher für Freude im Revoluzzerzirkel gesorgt, als er nach seiner Wahl gefragt wird, aufspringt und "Donald John Trump" ruft. Egal, dass Trump kein Parlamentarier ist und in Mar-a-Lago seine Papiere ordnet. "Trump", wiederholt die Schriftführerin verstört und notiert die Stimme, man darf Hausfremde tatsächlich wählen.

So geht es zu an Tag drei dieser Veranstaltung. Diese Widersacher lehnen den insgesamt stockkonservativen McCarthy ab, weil er ihnen zu staatstragend und angepasst daherkommt, weil sie ihn nicht ausstehen können und weil sie einfach stören wollen. Die meisten von ihnen kommen nicht aus der verhassten Hauptstadt und zählen zur republikanischen Fundamentalistengang "Freedom Caucus". In dem stramm rechten Team ist auch die 33-jährige Neu-Abgeordnete Anna Paulina Luna, die in ihrem Podcast zugab, dass sich gar nicht gewusst habe, was konservativ sei. Da sind außerdem ältere Männer wie Bon Good. "Wir haben die Gelegenheit, Geschichte zu schreiben", schreit Good. Das haben sie tatsächlich schon.

Es ist ein kleiner Teil der Republikaner-Fraktion. Aber genug, um das ehrenwerte House of Representatives zu blockieren, den 118th Congress. "Es wurde kein Sprecher gewählt", heißt es nach jedem Wahlgang, wenn der Hammer fällt. Das bleibt zunächst auch am Freitag so, Tag vier, 6. Januar 2023, als nur noch sieben und dann sechs Gegner McCarthy ablehnen und der Rest doch zu ihm überläuft. Es gibt da offenbar einen Deal, der teuer werden dürfte und moderaten Anhängern missfällt. Er muss den Herausforderern Posten versprechen, Einfluss, mehr Geld für die Mauer an der Grenze zu Mexiko, noch mehr Härte gegen Biden, seine Demokraten und alles, was sozial klingt. Er wäre von Anfang an ein schwacher Speaker. Er soll sogar versprochen haben, dass künftig jeder Abgeordnete ein Misstrauensvotum gegen den Sprecher verlangen kann.

"Sie beweisen dem Land, dass sie nur Zerstörer sind"

Trump hat sich spät und halblaut für McCarthy ausgesprochen. Wie damals spät und halblaut gegen den Sturm aufs Kapitol. Die Republikaner sind dermaßen zerstritten, dass sich da inzwischen Trumpisten und Trumpisten bekämpfen. "Wenn meine Freunde im Freedom Caucus, Matt Gaetz und andere, den Sieg nicht annehmen, wenn sie ihn haben, dann beweisen sie dem Land, dass sie sich nicht darum kümmern, das Richtige für Amerika zu tun", sagt am Dienstag die ebenfalls sehr rechte Marjorie Taylor Greene, die Trump verehrt und McCarthy wählt. "Sie beweisen dem Land, dass sie nur Zerstörer sind. Das ist, warum die Republikaner scheitern, und ich habe es wirklich satt."

Sie steht dabei im demokratischen Zentrum der USA, das vor exakt zwei Jahren Trumpisten schleifen wollten. Nun belagern es Trumpisten, die sich selbständig gemacht haben.

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