Süddeutsche Zeitung

SPD:Kevin Kühnert träumt sich ins Abseits

Ein Juso-Vorsitzender darf den Sozialismus propagieren, aber für Führungsaufgaben in der SPD hat sich Kühnert erst einmal disqualifiziert. Sein Interview fügt der Partei schweren Schaden zu.

Kommentar von Mike Szymanski

Kevin Kühnert ist ein Kapuzenpullis tragender Student im Alter von 29 Jahren, ein begabter politischer Redner und seit 2017 Chef der Jusos - das Kürzel steht für die Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD, für den Parteinachwuchs also. Das ist von Bedeutung, denn wer in der SPD, wenn nicht Kühnert, sollte sich Tagträumereien vom Sozialismus hingeben dürfen?

Dies hat Kühnert gerade umfassend in einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit getan. Die Aufregung ist jetzt groß, weil er gesagt hat, "im Optimalfall" sollte es keine privaten Vermietungen mehr geben. Jeder sollte maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt. Am Beispiel des Autobauers BMW führte er aus: "Mir ist weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW 'staatlicher Automobilbetrieb' steht oder 'genossenschaftlicher Automobilbetrieb' oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht." Ohne Kollektivierung sei der Kapitalismus nicht zu überwinden.

Dies kann man für ein "verschrobenes Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten" (Verkehrsminister Andreas Scheuer, CSU) halten oder für "groben Unfug", (Johannes Kahrs, SPD-Parteikollege). Am Ende ist es aber eben auch nur ein Interview des Chefs der SPD-Nachwuchsorganisation, der für sich ausbuchstabiert, was im Grundsatzprogramm der SPD weiterhin als "Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft" Erwähnung findet. Angst vor dem Sozialismus muss trotzdem niemand haben, der die SPD wählt.

Parteichefin Andrea Nahles, selbst langjährige Juso-Chefin, hat bislang noch jeder Versuchung widerstanden, in die großen Debatten um Enteignungen einzusteigen. Um die Wohnungsnot zu lindern, hält sie das Instrument der Enteignungen für gänzlich ungeeignet. Das Verfahren würde tatsächlich Jahre dauern und trotzdem keine einzige neue Wohnung schaffen. Da ist sie Realistin. Als die Fusionsgespräche zwischen Deutscher Bank und Commerzbank noch liefen, verstand sich die SPD eher in der Rolle des großen Banken-Retters, auch wenn das am Ende wohl Tausende Arbeitsplätze gekostet hätte. Und die Autoindustrie? Wird trotz des Abgasskandals und des verpennten Wandels zur Elektromobilität immer noch von der SPD geschont - weil es um so viele Arbeitsplätze geht.

Trotzdem: Die SPD hätte die Debatte um Kühnerts Äußerungen zum jetzigen Zeitpunkt wirklich nicht gebraucht. Wichtige Wahlen stehen an. Gerade ist die Partei etwas zur Ruhe gekommen. Kühnert schrumpft sich mit seinen Äußerungen selbst auf die Rolle des Juso-Chefs zurück. Viele in und außerhalb der Partei haben in ihm viel mehr gesehen - sogar einen möglichen Nachfolger von Andrea Nahles an der Spitze der SPD. Stand heute ist: Kühnert macht seinen Job als Juso-Vorsitzender. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Daran dürfte sich so schnell nichts ändern.

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