Kennzeichen-Überwachung:Das Prinzip Heuhaufen

Das Bundesverfassungsgericht setzt dem Datensammeln durch die Polizei Grenzen. Dafür ist es höchste Zeit. Denn wer ständig und überall gefilmt, gescannt und gerastert wird, büßt seine Freiheit und Individualität ein.

Von Wolfgang Janisch

Angeblich ist es schwer, die Nadel im Heuhaufen zu finden. Nur wusste die Zeit, aus der diese Weisheit stammt, eben noch nichts von digitalen Datenbanken. Sucht die Polizei heute nach einer Nadel, dann schichtet sie eigenhändig einen riesigen Heuhaufen auf, der zum Beispiel aus den gescannten Kennzeichen vorbeifahrender Autos bestehen kann. Den Rest machen ein paar Klicks: In einer der vielen Datenbanken wird schon eine Nadel zu finden sein. Irgendeine Nadel.

Diesem Prinzip, angelegt in den Vorschriften zur Kfz-Kennzeichenkontrolle in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, hat das Bundesverfassungsgericht nun zu Recht ein Ende bereitet. Der Autonummern-Scan geht zu weit, weil er der Polizei die Suche aufs Geratewohl erlaubt, oder wie es das Gericht ausdrückt: ins Blaue hinein. Selbstverständlich bleibt es erlaubt, Kennzeichen automatisiert auszulesen und mit Datenbanken abzugleichen - aber nur zu festgelegten Zwecken. Wer das elektronische Auge am Straßenrand aktivieren will, der muss dazu normalerweise einen konkreten Anlass haben, die Abwehr einer Gefahr etwa. Das können auch die üblichen Randerscheinungen eines Lokalderbys in der Bundesliga sein. Und wahrscheinlich sind damit auch zumindest stichprobenartige Kontrollen von Diesel-Fahrverboten möglich. Die Hürde liegt nicht allzu hoch, weil die Autonummer nun mal keine besonders intime Information darstellt. Entscheidend ist aber: Das automatisierte Rastern aller Autofahrer an willkürlich gewählten Orten zu beliebigen Zeiten ist unzulässig.

Je einfacher die Technik, desto größer die Versuchung

Es ist diese Aussage, die aus den beiden Karlsruher Beschlüssen eine der wichtigsten Grundsatzentscheidungen der vergangenen Jahre macht. Denn das Gericht erteilt damit allen Versuchen eine Absage, mithilfe einer ständig verfeinerten Technologie eine ausufernde Infrastruktur der Überwachung zu installieren. Je einfacher die Technik, desto größer die Versuchung, nach dem Prinzip Heuhaufen erst einmal alles zu sammeln, was man bekommen kann. Die Kfz-Kennzeichen sind nur ein Teil eines Spektrums, zu dem etwa die Videoüberwachung mit Gesichtserkennung gehört, oder das Auslesen von RFID-Chips, oder was einem sonst noch so einfällt. Tut ja alles nicht weh, wenn ein Bild mal kurz durch einen Computer gejagt und dann sofort wieder gelöscht wird. Oder?

Hier liegt das eigentliche Verdienst der Entscheidung. Sie macht deutlich, dass der Sicherheitsgewinn, den jeder entdeckte Rechtsbrecher und jedes wiedergefundene Auto einbringt, erhebliche gesellschaftliche Kosten hat. Wenn die Menschen überall und zu jeder Zeit fürchten müssen, gefilmt, gescannt und gerastert zu werden, dann stellt sich ein Gefühl des Überwachtwerdens ein, das Freiheit und Individualität nicht gedeihen lässt. Das hat das Gericht nicht zum ersten Mal gesagt. Nun aber ist klar: Dass ständige Kontrolle verunsichert und lähmt, kann auch für scheinbar geringfügige Beeinträchtigungen gelten.

Das Verfassungsgericht korrigiert damit einen eigenen Fehler aus dem Jahr 2008, als es die Kennzeichenkontrolle als kaum grundrechtsrelevant eingestuft hat. Nun tritt es also auf die Bremse, und zwar dort, wo Überwachungstechnologie, aber auch Polizeibefugnisse immer mehr Fahrt aufnehmen. Es ist höchste Zeit.

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